Journalistischer Abstrakt:
Diese Hausarbeit aus dem Bereich der Finanzwissenschaft befasst sich mit der dringlichen Frage, wie Deutschland seine Attraktivität als Wirtschaftsstandort im Vergleich zu den USA wiederherstellen kann. Angesichts der aktuellen Rezession und der schlechten Platzierungen in internationalen Umfragen steht die Anziehungskraft Deutschlands als Wirtschaftszentrum auf dem Prüfstand. Die Forschungsfrage lautet: Welche Maßnahmen kann Deutschland ergreifen, um seine Attraktivität als Wirtschaftsstandort zu verbessern? Durch die Anwendung von Standorttheorien und Clustermodellen identifiziert die Arbeit die Faktoren Arbeit und Staat als entscheidend. Eine Kombination aus aktuellen Studien und Interviews mit Branchenexperten zeigt deutlich, dass Deutschland in den Bereichen Technologie und staatliche Rahmenbedingungen erheblich hinterherhinkt. Die Ergebnisse heben hervor, dass Deutschlands starres regulatorisches Umfeld und veraltete technologische Infrastruktur wesentliche Hindernisse darstellen. Die Hauptthese lautet, dass Deutschland, um seine Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen, erhebliche Investitionen in Bildung und Technologie tätigen muss. Zudem ist eine umfassende Überarbeitung der bürokratischen Prozesse unerlässlich, um ein unternehmerfreundlicheres Umfeld zu schaffen. Die Forschung unterstreicht die Notwendigkeit, dass Deutschland eine proaktive Haltung bei der Modernisierung seiner Wirtschaftspolitik und Infrastruktur einnimmt, und zieht Vergleiche zu den robusten Maßnahmen der USA. Die Arbeit schließt mit der Warnung, dass Deutschland ohne diese entscheidenden Reformen weiter im globalen Wirtschaftswettbewerb zurückfallen könnte. Die Analyse bietet einen klaren Handlungsaufruf: Priorisieren Sie Innovation und Effizienz, um Deutschlands Stellung als erstklassigen Wirtschaftsstandort wiederzubeleben.
I. Einleitung
Der Wirtschaftsstandort Deutschland gerät derzeit im internationalen Vergleich ins Hintertreffen. In aktuellen Studien zur Bewertung des Standorts belegt Deutschland in Rankings, wie dem des ZEWs und der Stiftung Familienunternehmen, einen der hinteren Plätze. Die Qualität des Standorts Deutschland wird in verschiedenen Bereichen schlecht bewertet. Mehrere Unternehmen, wie die BASF zu Beginn des Jahres, verlagern ihre Produktion oder kritisieren öffentlich die Bedingungen in Deutschland . Auch der Verband „Verband Forschender 1 Arzneimittelhersteller e. V.“ bewertet einige wichtige Voraussetzungen für die zukünftige Entwicklung - wie die aktuelle Modernität des Kapitalstocks - negativ (vfa, 2023: 6). Die daraus resultierenden Entwicklungserwartungen werden vom ifo Institut als ungünstig eingeschätzt. Laut dem ifo befindet sich Deutschland derzeit in einer Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt wird dieses Jahr (2023) um 0,4% sinken (ifo, 2023: 4). Deutschland ist damit das einzige G7-Land, welches momentan deindustrialisiert. Daher besteht die Befürchtung, dass es erneut zum “kranken Mann Europas" wird (The Economist, "Is Germany once again the sick man of Europe?," 2023). Die Politik ist sich der Gefahr bewusst und bemüht sich daher, Möglichkeiten zur Verbesserung der Lage zu finden und umzusetzen. Der Industriestrompreis oder ein de facto Aussetzen der Schuldenbremse sind nur einige vorgeschlagene finanzpolitische Maßnahmen um 2 das Wachstum wieder anzukurbeln. Ein umfassendes Paket, vergleichbar zum Inflation Reduction Act (IRA) der USA bleibt jedoch aus. Die diskutierten Vorschläge bleiben alle im Umfang weit hinter der Maßnahme der USA zurück . 3 Auch dieser Aufsatz stellt eine ähnliche Frage: Wie kann die Attraktivität Deutschlands als Standort wieder erhöht werden? Hierbei wird ein Vergleich zu den Vereinigten Staaten gezogen, welche in den Ranglisten sehr gut abschneiden. Weiter wird die Sicht eines Unternehmens berücksichtigt.
Zunächst wird dazu die Standortwahl im Allgemeinen betrachtet und die für die Wahl ausschlaggebenden Standortfaktoren erläutert. Anschließend wird Porters Theorie zu Clustern als aktueller Ansatz dargestellt. Anhand dieser Theorie werden die Faktoren Arbeit und Staat als wichtigste identifiziert. Der Faktor Arbeit wird mit der Theorie Floridas zur kreativen Klasse genauer beleuchtet. Die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA werden durch die Analyse aktueller Studien zur Standortqualität und durch Interviews mit Unternehmensexperten für diesen Bereichen herausgearbeitet. Im Anschluss daran werden Möglichkeiten zur Steigerung der Attraktivität des Standorts Deutschland vorgestellt.
II. Standorttheorie
Die Standorttheorie beschäftigt sich mit der Wahl eines Standorts, der für ein Unternehmen oder einen Betrieb optimale wirtschaftliche Bedingungen bietet. Der Fokus liegt oftmals auf der Gewinnmaximierung. Aber auch andere Aspekte wie der Zugang zu neuen Märkten oder die Erhöhung des Marktanteils können relevant sein (vgl. Berlemann & Tilgner, 2006: 14-15). Die Frage, welcher Standort die besten derzeitigen und zukünftigen Voraussetzungen für ein effizientes Erreichen des Ziel ist, ist daher ausschlaggebend. Bei der Suche nach einem Standort mit optimalen Voraussetzungen geht es um die für das Unternehmen und den Zweck des Standorts relevanten Standortfaktoren. Die Standortfaktoren eines Ortes konstituieren die Voraussetzungen des Standorts für das Unternehmen. Sie entscheiden über dessen Attraktivität. Dabei können sie positiv oder negativ auf die Voraussetzungen wirken. Von wesentlicher Bedeutung ist auch die zukünftige Entwicklung. Wie die Standortentscheidung durch Standortfaktoren beeinflusst wird, welche Faktoren es gibt und wie wichtig diese sind, wird in diesem Kapitel diskutiert.
i. Standortwahl — Wie wird ein Standort ausgewählt?
Erste bedeutende Überlegungen zur Standortwahl wurden unter anderem durch Johann Heinrich von Thünen (1842) angestellt. Für seine auf die Landwirtschaft bezogene Theorie ist die Bodenrente zentral in der Überlegung des richtigen Standorts. Die Bodenrente erreicht ihr Maximum dann, wenn die Produktions- und durchschnittliche Kosten (hauptsächlich Transportkosten) minimal sind. Daher wird der Wert eines Standorts über dessen möglichen Gewinn (die Bodenrente) bestimmt. Die Nähe des Produktionsstandorts zum Markt ist Maßgeblich mitentscheidend für die Beurteilung und die Wahl eines Standortes.
Vergleichbar zu von Thünen sind die theoretischen Überlegungen von Wilhelm Launhardt (1882). In seinen Überlegungen ist die Standortwahl auf die Minimierung der Transportkosten und der durchschnittlichen Kosten beschränkt. Diese werden von einem zentralen Punkt, dem Produktionsort, ausgehend bestimmt. Gesucht wird der Standort mit minimalen Kosten, da dieser die besten Voraussetzungen für den maximalen Gewinn hat. Launhardt schlussfolgert eine zu von Thünen vergleichbaren Theorie der Standortwahl. In beiden Fällen wird nicht explizit mit Standortfaktoren argumentiert. Standortfaktoren sind lediglich implizit in der Argumentation und in den mathematischen Überlegungen eingebunden. Die Kosten und die Gewinnmaximierung sind in beiden Theorien anleitend für die Standortwahl.
Alfred Weber (1909) baut auf diesen theoretischen Überlegungen auf. Bei seinen Ansatz steht ebenfalls die Kostenminimierung im Vordergrund. Der Wert eines Standorts ist bei Weber gleichbedeutend mit der Kostenwirkung eines Standorts (Lahner, 2020: 543). Neu ist allerdings, dass erstmals explizit von Standortfaktoren gesprochen wird (Bodenmann, 2005: 19). Weber identifiziert die Transportkosten der Rohstoffe zu der Produktionsstätte, die Transportkosten der Güter zum Absatzmarkt und die Arbeitskosten als harte Standortfaktoren. Allerdings wird auch die Agglomerationswirkung (Ansammlung von Unternehmen in einer Region) behandelt, welche ein weicher Standortfaktor ist. Weber begründet die Agglomeration von Unternehmen vornehmlich mit der besserer Informationslage bezüglich Abnehmern und Zulieferern (Bodenmann, 2005: 19). Der Fokus bleibt jedoch auf den harten Faktoren, trotz der Berücksichtigung der weichen Standortfaktoren. Festzuhalten ist, dass in diesen „frühen“ Theorien der Standortwahl hauptsächlich Abwägung von Kosten, insbesondere der Arbeitskosten und der Transportkosten, im Vordergrund stehen. Die Gewinnmaximierung soll durch minimieren der Kosten erreicht werden. Dennoch erkennt bspw. Weber an, dass weit mehr wichtige Faktoren gibt einzubeziehen sind. Er erkannte, dass unterschiedlich Unternehmen die Attraktivität von Standorten unterschiedlich einschätzen (Lahner, 2020: 548).
Auch wenn es auf den ersten Blick naheliegend erscheint, einen Standort durch die Abwägung der Grenzkosten und des Grenznutzen zu wählen ist das in der Realität nur seltenen die Praxis. Dies ist aus mehreren Gründen wenig praktikabel. Zum einen sind die anfallenden Kosten nicht immer eindeutig. Es ist selten möglich alle Kosten exakt zu ermitteln und eine genaue Abwägung vorzunehmen . 4 Darüberhinaus werden in einem solchen Auswahlprozess die weichen Faktoren außer acht gelassen. Dabei sind diese von entscheidender Bedeutung um einen Standort erfolgreich zu machen. Beispielsweise die kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten können über Erfolg oder Misserfolg eines Standorts entscheiden. Als letztes sind solche Abwägungen auf den Status Quo des gewählten Standorts beschränkt. Veränderungen, die sich auf die harten oder weichen Standortfaktoren einwirken, werden dabei nicht mit einbezogen. Daher ist der zukünftige Erfolg des Unternehmens an diesen Standort nicht gewährleistet.
Die Kritik an dieser Art der Standortwahl und dem Modell Webers auf die Veränderung der Wirtschaftsabläufe damals zu heute zurückzuführen. In der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung und durch den technologischen und gesellschaftlichen Wandel haben andere Faktoren an Relevanz gewonnen, während wiederum andere an Relevanz eingebüßt haben (Bodenmann, 2005: 20). Die Nähe der Produktion zum Markt hat durch die modernen Transportmöglichkeiten und den internationalen Handel an Bedeutung verloren. Es ist nicht mehr wichtig Güter vor Ort zu produzieren, da sie unabhängig vom Ort durch Schiffe, Flugzeuge und dergleichen weltweit verkauft werden können. Dagegen sind unter anderem Qualifikation der Arbeitskräfte, gesellschaftliche und kulturelle Einflüsse (bspw. Risikobereitschaft), Infrastruktur (hier besonders Internet) und Klimaschutz relevant geworden. Diese veränderten Anforderungen an einen Standort benötigen neue theoretische Erwägungen.
An dieser neoklassischen Theorie der Standortwahl schließt sich ein weiterer Ansatz an, der auf Walter Isard (1956) zurückgeht. Dabei geht es um die Einbeziehung der räumlichen Dimension in die Gleichgewichtsmodelle. Diese wird nach Isard fälschlicherweise nicht berücksichtigt (Isard, 1956: 25). Die räumliche Ebene muss jedoch einbezogen werden, da Arbeit, Kapital und Boden sich nach dem Substitutionsprinzip gegenseitig ersetzen können. Die verschiedenen Versuche Forschender, die räumliche Dimension in das Gleichgewichtsmodell einzubeziehen, führten zu der New Economic Geography nach Krugman (1995). In diesem Ansatz wird versucht, unter Einbezug weicher Standortfaktoren und Externalitäten, ein Modell zur Beschreibung der Standortverteilung von Unternehmen zu finden. Nach diesem Modell kommt es, ähnlich wie bei Weber, aufgrund der Vorteile wie Skaleneffekte oder Know-how-Ansammlungen, zu einer Agglomeration von Unternehmen in Clustern.
Ein weiterer Erklärungsansatz der Standortwahl bedient sich eines physikalischen Ansatzes. Die sog. soziale Physik wurde insbesondere von John Stewart (1948) betrieben. In der Gravitationstheorie wird (wie der Name vermuten lässt) sich dem Konzept der Gravitation bedient. Es wird von einer Anziehung einer Ansammlung von Menschen bspw. in Städten auf die Menschen im Umland angenommen. Diese Wechselwirkung besteht zwischen allen Menschen. Aus diesem Konzept wiederum versuchten verschiedene Forscher bspw. das Marktpotential eines Ortes (Harris, 1954) oder die Agglomeration von Industrien (Richardson, 1975) zu erklären, sowie den Wert eines Standorts zu errechnen (Geiger, 1979). Auch die Theorie der zentralen Orte nach Walter Christaller (1933) und ähnliche Theorien, die von dem Einfluss zentralen Ortes auf die umliegenden ausgehen, tragen zur Standortwahl bei. Dabei wird ein flächendeckendes Angebot von Dienstleistungen und Gütern durch die verschiedenen Orte bereitgestellt. Die Bedeutung eines Ortes hängt vom Umfang des Angebots des Orts ab. Aufgrund dieses Angebotes werden die zentralen Orte als Standort von Unternehmen gewählt (Einig & Zaspel-Heisters, 2016: 5). An diesem Standort haben sie die besten Grundvoraussetzungen. Diese beiden theoretischen Ansätze erklären jedoch hauptsächlich, wie die räumliche Verteilung ist und wo demnach ein Unternehmen sich höchstwahrscheinlich einen Standort suchen wird. Sie erklären aber nicht, welche Faktoren tatsächlich die ausschlaggebenden und für das Unternehmen wichtigen sind und lassen daher nicht zu einem Schluss oder eine konkrete Handlungsanweisung für ein Unternehmen zu formulieren. Aus diesem Grund werden diese Ansätze in dieser Analyse nicht weiter ausgeführt.
Was all diese Theorien gemeinsam haben, ist die Annahme einer Agglomeration von Betrieben an Standorten. Schon bei von Thünen und Launhardt führen deren Annahmen für die mathematische Bestimmung des besten Ortes zu einem zentralen Ort, dessen Nähe als vorteilhaft angenommen wird. Weber geht explizit von Agglomeration aus und schreibt ihr weitere Vorteile, wie Markt- und Lieferantenfühlung zu. Auch die Theorien von Christaller und Stewart führen aufgrund der angenommenen Mechaniken zu Agglomerationen und Clusterbildung. Daher wird zum Beantworten der Frage das Diamantmodel von Porter herangezogen. Porter schreibt höhere Standortattraktivität vornehmlich der Qualität der Cluster zu.
ii. Standortfaktoren — Worauf wird bei der Wahl geachtet?
Die bereits mehrmals abgeklungenen Standortfaktoren werden traditionell in harte und weiche Standortfaktoren unterschieden. Harte Standortfaktoren gehen (wie bereits beschrieben) auf Weber zurück. Sie umfassen hauptsächlich die Kosten, die sich auf den Standort auswirken (Lahner, 2020: 543). Sie lassen sich auch als die quantifizierbaren Gegebenheiten eines Standorts verstehen. Beispiele hierfür sind die Steuerlast oder die Arbeitskosten. Auch Subventionen sind in diese Kategorie zu rechen. In einer Reihe von Untersuchungen haben Berlemann et al. (2008; 2006) harte und weiche Faktoren zusammengefasst und empirisch untersucht, um ihre Bedeutung für die Standortwahl zu identifizieren. Bei der Untersuchung der harten Standortfaktoren war festzustellen, dass quantifizierbare Faktoren, wie Kosten und Subventionen tatsächlich den zu erwartenden Effekt einer negativen Korrelation aufweisen (Berlemann & Göthel, 2008: 40). Beispiele hierfür sind Arbeitskosten und Steuerlast.
Weiche Standortfaktoren sind im Gegensatz zu den harten Faktoren schwer quantifizierbar. Daher ist ihre unmittelbare Wirkung auf das Unternehmen nicht eindeutig festzustellen. Eine Trennung zwischen unternehmensbezogenen und personenbezogenen weichen Standortfaktoren hat sich mittlerweile etabliert. Die Wirkung der ersteren auf das Unternehmen ist leichter zu verstehen, während es bei den letzteren schwieriger ist, die unmittelbare Wirkung zu beziffern. Dass weiche Standortfaktoren die Standortwahl beeinflussen, ist dagegen unumstritten und wird auch von Berlemann und Tilgner (2006) aufgezeigt. In ihrer gemeinsamen Literaturrecherche zeigen sie Standortfaktoren auf, bei denen eine Korrelation zwischen der Standortwahl von Unternehmen und weichen Standortfaktoren durch Studien bestätigt ist. Rechtssicherheit, politische Stabilität und Bürokratie gehören zu diesen (vgl. Berlemann & Tilgner, 2006: 17-18). Zwar sprechen Berlemann und Tilgner nicht über die personenbezogenen weichen Standortfaktoren, deren Bedeutung wird jedoch von Lahner deutlich gemacht. So betont er, besonders in Zeiten des Fachkräftemangels sei diese Art weicher Standortfaktoren von entscheidender Bedeutung für die Unternehmen (Lahner, 2020: 551). Durch die Individuelle Wahrnehmung dieser Standortfaktoren durch die Arbeitnehmer ist der Einbezug dieser Faktoren deutlich erschwert. Dennoch müssen Unternehmen und staatliche Akteure für den Erfolg eines Standorts, die personenbezogenen weichen Standortfaktoren mit einbeziehen und entwickeln.
Wie schon im Unterkapitel zur Standortwahl beschrieben, handelt es sich bei harten Standortfaktoren um auch heute noch beachtete und ausschlaggebende Faktoren. Allerdings verschiebt sich die Relevanz der Faktoren zunehmend zu den Weichen. Lahner erklärt das anhand von vier Aspekten. Zum einen lässt sich beobachten, dass negative Effekte der Agglomeration von Unternehmen, wie teure Grundstückpreise und Kosten der Arbeitskräfte, nicht dazu führen, eine Agglomeration zu verhindern (vgl. Lahner, 2020: 556). Stattdessen werden diese Nachteile mehr als ausgeglichen, da die Agglomeration der Unternehmen weiter zunimmt. Das lässt auf gleichbleibende oder sogar steigende Attraktivität schließen (Farhauer & Kröll, 2013: 431). Die Verschiebung der Bedeutung von harten zu weichen Standortfaktoren ist in der geringen Möglichkeit der Standortdifferenzierung harter Faktoren, insbesondere im internationalen Wettbewerb, begründet. Ein attraktives Standortprofil erfordert mehr als nur gängige harte Faktoren. Harte Faktoren sind die notwendige Voraussetzung für eine Standortentscheidung, aber nicht aber die Hinreichende. Die eigentliche Wettbewerbsdifferenzierung erfolgt durch weiche Standortfaktoren wie Qualifikation der Arbeitskräfte und Innovationsklima (vgl. Lahner, 2020: 556). Die Verschiebung von industriellen Volkswirtschaften zur Wissensökonomie hat die abnehmende Bedeutung harter Standortfaktoren weiter untermauert. In der Wachstumstheorie wird betont, dass Wissen der Schlüssel zur wirtschaftlichen Prosperität ist, nicht nur Arbeit und Kapital. Ähnlich argumentiert auch Porter (2000). Gute Grundbedingungen sind notwendig. Da diese allerdings durch den internationalen Wettbewerb nicht mehr einzigartig sind, sind die Differenzierung in den fortgeschrittenen Bedingungen deutlich wichtiger (Porter, 2000: 21). Die Innovationskraft einer Region ist entscheidend für ihre Entwicklung im internationalen Wettbewerb, mit Fokus auf den Austausch von Wissen, Lernen, Zusammenarbeit mit Hochschulen und spezialisierten Fachkräften. Die räumliche Nähe spielt eine wichtige Rolle im interaktiven Innovationsprozess (vgl. Lahner, 2020: 557). Weiter hat die Entwicklung zur Wissensgesellschaft die Sicherung von Fachkräften stark betont. Die „Creative Class“ ist entscheidend für Innovation und Wachstum, stellt jedoch hohe Anforderungen an den Standort. Daher werden die eben angesprochenen personenbezogenen Standortfaktoren deutlich wichtiger. Das Umfeld muss für die kreative Klasse optimal sein, daher suchen Unternehmen vermehrt nach diesen Faktoren ihre Standorte aus (vgl. Lahner, 2020: 557).
Zusammengefasst zeigt sich die Verschiebung der Relevanz von harten zu weichen Faktoren als entscheidend für die Standortwahl von Unternehmen. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die Agglomeration maßgeblich von diesen weichen Faktoren beeinflusst wird. Dieser Befund steht im Einklang mit unserer Analyse im vorherigen Unterkapitels. Insbesondere im Kontext der Clusterbildung nach Michael Porter sind weiche Faktoren ein großer Vorteil der Cluster und Grund der Agglomeration. Daher wird im kommenden Abschnitt das Augenmerk auf diese weichen Faktoren gerichtet.
III. Cluster und die relevanten Faktoren
In diesem Kapitel wird an die Literaturanalyse angeknüpft und Agglomeration bzw. Cluster als Standortfaktor genauer betrachtet. Anhand von Porters theoretischen Überlegungen zu Clustern wird identifiziert, welche Faktoren von bedeutender Relevanz sind. Im Anschluss kann analysiert werden, welche dieser Faktoren für die derzeitige Standortattraktivität Deutschlands von besonderer Relevanz sind.
i. Cluster in der Standortwahl
Wie bereits erwähnt, fällt auf, dass in den erklärten Theorien regelmäßig die Agglomeration von Betrieben genannt wird. Agglomeration wirkt sich immer positiv auf den Standort aus. Der Vorteil der Agglomeration wird fast ausschließlich durch weiche Standortfaktoren begründet . Diese 5 Agglomerationen oder Cluster nutzt Michael E. Porter (bspw. 2000) um die Wettbewerbsvorteile von Unternehmen in einem Cluster zu erklären . Er argumentiert mit substantiellen Vorteilen eines 6 Standorts für ein Unternehmen in einem Cluster verglichen mit anderen Standorten. Porter definiert ein Cluster als Agglomeration von Betrieben und Unternehmen, in einer geografischen Region, die aufgrund ähnlicher Anforderungen, Einschränkungen und Präferenzen zusammen finden und einander zusammengehörig werden. Die Unternehmen sind verbunden und ergänzen einander. Die Natur der Zusammengehörigkeit hat verschiedene Ausprägungen. Sie können Zulieferer, spezialisierte Dienstleister, ein Abnehmer oder aus einer verwandten Industrie sein. Aber auch dazugehörige (staatliche) Institutionen, wie Universitäten oder Behörden, die mit diesem Bereich verbunden, sind gehören zum Cluster. Diese Unternehmen und Institutionen stehen zueinander im Wettbewerb, sie kooperieren aber auch (Porter, 2000: 16-17). Der Vorteil eines Clusters liegt in den externen Effekten, die die Anhäufung produziert und auf der sie begründet ist. Sechs Faktoren sind wichtig für den Erfolg von Unternehmen an einem Standort, und damit auch dafür verantwortlich, dass sich ein Cluster bildet. Diese sind erstens die Faktorbedingungen, d.h. die Verfügbarkeit der wichtigen Produktionsfaktoren am Standort, sowie zweitens die Nachfragebedingungen am Standort. Weiter sind drittens die Unternehmensstrategie und Unternehmensstruktur sowie die Rivalität am Standort wichtig, da hierdurch starke Impulse für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und seine Innovationsfähigkeit gesetzt werden. Ebenfalls wichtig sind viertens die verwandte Branchen und die Zulieferer in der Nähe des Standorts, da das Kosten spart, die Kooperation verstärkt und so gemeinsame Innovation und Entwicklung möglich macht. Neben diesen vier Faktoren, ist noch der Staat durch staatliche Regulierungen und staatliche Nachfrage bedeutend, sowie der Zufall (dem Zufall kommt, da er nicht beeinflusst werden kann, in diesem Text keine Bedeutung mehr zu) bedeutend. Hoher Wettbewerb an einem Standtort kann daher sehr förderlich für das Unternehmen sein und wirkt sich nach Porters Modell positiv auf die Standortwahl aus.
ii. Die relevanten Faktoren
Zwei der von Porter genannten Faktoren unterscheiden sich von den anderen. Die Faktorbedingungen der Produktion und der Staat sind grundlegende Bedingungen, damit Unternehmen im Wettbewerb stehen und sich Cluster bilden können. Die Faktorbedingungen stellen die Grundlage der Aktivitäten der Unternehmen dar, während der Staat einen wichtigen Rahmen bildet. Unter den Faktorbedingungen Arbeit, Kapital und Land sticht besonders der Faktor Arbeit hervor. Richard Florida (2002b, 2003) argumentiert, der wichtigste Grund, weshalb Firmen agglomerieren, ist Zugriff auf den Faktor Arbeit zu haben. Er bezieht sich damit nicht auf billige Arbeitskräfte, um möglichst geringe Kosten zu erzielen, sondern die von ihm als "Creative Class" bezeichnete Klasse, die für Innovationen und für Wachstum sorgt (Florida, 2003: 5). Daher wird es immer wichtiger für Firmen, sich in der Nähe von Kreativität und Wissen anzusiedeln. Florida präsentierten einige beobachtbare Trends, welche die Relevanz der kreativen Klasse unterstreichen. Er identifiziert Zentren mit besonderem ökonomisch Erfolg. In diesen Zentren ist eine erhöhte Akkumulation der kreativen Klasse zu beobachten. Sie weisen die höchste Innovationskraft, die höchste Technologisierung und das höchste Wachstum auf (Florida, 2003: 8).
Bedeutend ist, dass das ungeachtet der herkömmlichen Standortfaktoren, wie natürliche Ressourcen oder niedrigere Steuern geschieht. Stattdessen ist der verantwortliche Standortfaktor Arbeit, genauer die „Creative Class“ der einzige ausschlaggebende Faktor (Florida, 2003: 9). Das mündet in einem umgedrehten Verhältnis: die Arbeitskräfte folgen nicht mehr den Unternehmen, stattdessen gilt „Jobs Follow People“ (vgl. Florida, 2003: 7). Aus diesen Überlegungen lässt sich schlussfolgern, dass die kreative Klasse, und damit der Faktor Arbeit als Teilfaktor der Faktorbedingungen von grundlegend für die Cluster und deren Erfolg ist. Folglich werden auch die Standortfaktoren der kreativen Klasse relevant. Um für die kreative Klasse attraktiv zu sein, muss ein Standort die „3Ts of economic developement“ (Florida, 2003: 10) aufweisen. Diese umfassen Technologie, Talent und Toleranz und beschreiben eine Umwelt, in der sich die kreative Klasse besonders wohlfühlt und Kreativität sich entfalten kann (Florida, 2003: 10). Übereinstimmend mit der zunehmenden Bedeutung der personenbezogenen Standortfaktoren, müssen diese Faktoren in der Standortentscheidung und Entwicklung mit einbezogen werden, da sie die Grundlage für den Faktor Arbeit bieten (Lahner, 2020: 551).
Über den Einfluss staatlichen Handels auf die wirtschaftlichen Vorgänge gibt es viele Annahmen, die unterschiedliche Ergebnisse voraussagen. Unabhängig der Ergebnisse, ist man sich einig, dass durch staatliche Eingriffe Einfluss auf das wirtschaftliche Handeln ausgeübt wird. Staatlichen Eingriffe wirken sich auf die Standortattraktivität aus. Dass der Staat als Rahmen der Cluster dient, sieht man auch bei Porter selbst. Um Cluster attraktiver zu machen, nennt er einige Handlungsmöglichkeiten des Staats. Der Staat soll zum einen Hindernisse beseitigen und für Erleichterung der ökonomischen Aktivitäten in einem Cluster sorgen. Regulationen, Bürokratie und Steuern sollen mit dem Ziel Ineffizienz zu eliminieren vereinfacht werden. Gleichzeitig kann der Staat gezielt Hilfe für Cluster und die Wirtschaft sorgen, zum Beispiel durch Investitionen in Infrastruktur und Bildung. Als Folge werden die Cluster produktiver und innovativer (vgl. Porter, 2000: 26). Wiederholt deutet er an, den Markt und den Wettbewerb über die Entwicklung von Clustern zu entscheiden zu lassen (vgl.Porter, 2000: 26-27). In ihrer Literaturanalyse finden Berlemann und Tilgner (2006) dass staatliche Rahmenbedingungen wie Bürokratie, Regulierung des Arbeitsmarktes oder Steuerbelastung einen negativen Einfluss auf die Standortattraktivität haben (vgl. Berlemann & Tilgner, 2006: 18-19). Zu Umweltauflagen finden Condliffe und Morgan (2009), dass diese abhängig der Industrie, die Standortwahl beeinflussen (vgl. Condliffe & Morgan, 2009). Gleichzeitig zeigen Berlemann und Tilgner auf, dass Verfügbarkeit von Fördermitteln und Investitionen die Standortattraktivität steigern (vgl. Berlemann & Tilgner, 2006: 19). Aus diesen Untersuchungen wird die Relevanz des Staats als Einflussgröße auf die Standortwahl klar.
IV. Methodik
i. Analyse Methode
Im Folgenden wird die aktuelle Standortqualität Deutschlands untersucht. Diese wird in Bezug auf die beiden vorher identifizierten Faktoren Arbeit und Staat analysiert. Arbeit wird danach bei nach Floridas Theorie der kreativen Klasse beleuchtet. Es wird Fokus auf die 3T (Toleranz, Talent und Technologie) geworfen. Die Qualität des Standorts Deutschland für die kreative Klasse soll so herausgefunden werden. Der Faktor Staat wird nach Portos Theorie beleuchtet und als Rahmenbedingungen der Cluster verstanden. Es wird daher nach Einschränkungen, Hemmnissen und Vorteilen für Cluster und den Wettbewerb in einem Cluster geschaut. Dazu werden aktuelle Studien zu der Standortqualität Deutschlands herangezogen. Diese beleuchten sowohl den Standort Deutschland aus Unternehmenssicht, als auch im internationalen Vergleich. Ein besonderes Licht wird auf den Vergleich zwischen Amerika und Deutschland geworfen. Amerika ist derzeit ein besonders guter Wirtschaftsstandort und wird daher als Benchmark verwendet (vgl. ZEW, 2023: XI). Zudem hat die USA nach der Covid-19-Krise und gegen die Inflation große Investitionsprogramme auf den Weg gebracht. Zusätzlich zu den Studien werden Interviews mit Experten eines deutschen Unternehmens einbezogen. Diese sollen die Faktoren noch einmal aus Unternehmenssicht beleuchten und anekdotische die Aussage der Studien unterstützen oder mit einem relativierenden Licht beleuchten.
ii. Das Unternehmen und die Experten
Das gewählte Unternehmen ist im Maschinenbau und der Elektrotechnik tätig. Es bietet hochtechnologische Produkte an und ist daher auf die kreative Klasse und qualifizierte Arbeitskräfte stark angewiesen. Das Unternehmen ist weltweit aktiv und hat aber einen großen Standort in Amerika. Aufgrund der Multinationalität ist der Verglich zwischen den Ländern gut möglich. Die gewählten Experten sind in den Bereichen Human Resources und Tax angestellt. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung im jeweiligen Bereich sind sie besonders qualifiziert, die beiden identifizierten Faktoren zu evaluieren. Sowohl Experte 1 und Experte 2 sind in Deutschland ansässig und können daher Aussagen über die Lage in Deutschland treffen. Daher ist die Einschätzung aussagekräftig und spiegelt die aktuelle Standortqualität für das Unternehmen wider
V. Analyse der Situation
Zu der derzeitigen Standortattraktivität Deutschlands gibt es, wie bereits erwähnt, eine Vielzahl an kontemporärer Studien. Anhand dieser Studien wird die aktuelle Standortattraktivität der beiden zuvor bei Porter identifizierten relevanten Faktoren untersucht. Hauptsächlich verwendet werden der von der Stiftung Familienunternehmen veröffentlichte und vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) angefertigte Länderindex Familienunternehmen (ZEW, 2023) und die DIHK-Umfrage der Deutsche Industrie- und Handelskammer von 2020 zum Industriestandort Deutschland (DIHK, 2020). Zusätzlich werden weitere Studien, wie das MacroScope Pharma (vfa, 2023), eine Studie der BayernLB und Prognos AG (BayernLB & Prognos, 2023), sowie der Legatum Prosperity Index (Legatum Institute, 2023), mit einbezogen.
Die allgemeine Standortattraktivität Deutschlands wird derzeit als schlecht bewertet (vgl. DIHK, 2020: 3; vgl. ifo, 2023: ??; vgl. ZEW, 2023: XI). Diesen Befund teilen sowohl zwischen Ländern vergleichende Studien (BayernLB/Prognos AG, 2023; vfa, 2023; ZEW, 2023), als auch Studien, die die Rezeption des Standorts von in Deutschland operierende Unternehmen untersuchen (DIHK, 2020). Im Ranking des Länderindex ist Deutschland bspw. auf dem 18. von 21 Plätzen (ZEW, 2023: XII). Auch der im Bericht der vfa (Verband Forschender Pharmaunternehmen e. V.) schneidet Deutschland in fast allen Kategorien schlecht ab (vgl. vfa, 2023). Zusammengefasst sind sich die Studien der problematischen Lage Deutschlands einig.
i. Faktor Arbeit in Deutschland und den USA
In Bezug auf den Faktor Arbeit herrscht größtenteils Übereinstimmung der Studien über den Zustand der Kategorien. Unter dem Faktor Arbeit fallen folgende Kategorien: Fachkräftemangel und Qualität, die Produktivität der Arbeit, Arbeitskosten, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die persönliche Freiheit (Personal Freedom). All diese Indikatoren ermöglichen eine Einschätzung der Technologie, der Toleranz und der Ausbildung (Talent). Dadurch sind die 3Ts nach Florida (2003: 10), die entscheidend für die Attraktivität des Standorts für die kreative Klasse sind, abgedeckt.
Für die Bewertung der Kategorie Technologie wird vor allem der Indikator Produktivität verwendet, sowie weitere Indikatoren, die mit diesem zusammenhängen. Der schwache Produktivitätszuwachs im Jahr 2022 sticht dabei hervor. Die Steigerung ist dabei, wie in fast allen entwickelten Ländern, rückläufig. Zusätzlich ist die derzeitige Entwicklung schlechter als im OECD-Durchschnitt und liegt bei nur der Hälfte des durchschnittlichen Niveaus (vgl. vfa, 2023: 2-3). Dieser Zustand lässt sich bei fast allen wichtigen Industrien feststellen (vgl. vfa, 2023: 4-5). Dabei müsste das Produktivitätswachstum zunehmen, um zumindest die Alterung der Bevölkerung auszugleichen (vgl. vfa, 2023: 2). Ein wichtiger Grund für den niedrigen Anstieg der Produktivität ist der in Deutschland vergleichsweise alte Kapitalstock. Der Kapitalstock gibt an, wie viele moderne Produktionsmethoden eingesetzt werden. Dabei kann angenommen werden, dass eine neue Produktionsmethode für höhere Produktivität durch eine modernere Technologie sorgt (vgl. vfa, 2023: 6). Dem Länderindex der Stiftung Familienunternehmen zufolge ist die derzeitige Produktivität ebenfalls nicht wettbewerbsfähig gegenüber den USA. Deutschland ist in der Rangliste im Mittelfeld, während die USA auf Rang vier kommen (ZEW, 2023: 27-28). Experte 2 widerspricht dem. Seiner Wahrnehmung nach sei die Produktivität in Deutschland derzeit im Vergleich zu anderen Ländern, auch zu den USA, höher. Allerdings bestätigt er den rückläufigen Trend und räumt ein, dass manche Experten schon jetzt von vergleichbarer Produktivität ausgehen (Experte 2; Appendix 1.1). Die Analyse zeigt folglich für die zukünftige Entwicklung der Technologie am Standort Deutschland ein ernüchterndes Bild. Der Einsatz der neuesten Technologien, welcher eine wichtige Voraussetzung für die kreative Klasse ist, kann bei der derzeitigen Lage nicht gewährleistet werden. Die schlechte Entwicklung des Produktivitätszuwachses zeigt diesen Mangel jetzt schon. Um die kreative Klasse am Standort Deutschland zu halten, ist daher eine Änderung dieses Trends notwendig. Die Kategorie Talent wird über die Qualifikation und Qualität der Fachkräfte, sowie die Investitionen in die Ausbildung der Fachkräfte beleuchtet. Die Ausbildung der Fachkräfte wird von in Deutschland aktiven Unternehmen im DIHK-Bericht als gut bewertet. Diese Bewertung verschlechtert sich jedoch seit 2014 kontinuierlich. Besonders zu bemerken ist das bei der Ausbildung in den MINT-Fächern (DIHK, 2020: 13). Die ZEW-Studie bestätigt das. Die Kompetenz der Schüler, gemessen nach dem PISA-Test, ist in Deutschland im mittleren Bereich, die USA liegen hinter Deutschland (ZEW, 2023: 30-31). Die nach wie vor gute Qualität der Arbeitskräfte in Deutschland wird auch durch Experte 2 bestätigt. Er widerspricht jedoch dem Trend der DIHK-Studie. In Bezug auf die Qualität der Bewerber auf Auszubildendenplätze merkt an, dass die Qualität zurückgeht. Generell sei allerdings kein Rückgang der Qualität beobachtbar. Was sich dagegen verändere, seien die Aufgaben, die ein Arbeitnehmer mit gleichbleibender Qualifikation bearbeiten muss. Hier sei der Grund der wahrgenommenen Veränderung zu finden (Experte 2, Appendix 1.1). In Bezug auf die Qualifikation der erwerbsfähigen Bevölkerung widerspricht der Länderindex der Studie des DIHK. Das Bildungsniveau der erwerbsfähigen Bevölkerung (Anteil der Bevölkerung mit tertiärem Abschluss) ist Deutschland auf Platz 17 mit 30,9 %. Die USA hingegen sind auf Platz 4 und mit 50, 32 % deutlich höher platziert (ZEW, 2023: 31-33). Diese Aussage muss jedoch relativiert werden. Es muss angemerkt werden, dass einige Ausbildungen in Deutschland nicht in die Klassifizierung tertiäre Ausbildung fallen, obwohl sie hervorragende Arbeitskräfte hervorbringen (vgl. ZEW, 2023: 32). Weiter spricht Experte 2 an, dass die Standards der Ausbildung in Deutschland höher sind als in den USA. Tatsächlich bekämen auch Abgänger amerikanischen Elite-Universitäten keinen Bonus bei Bewerbungen mehr, da die deutschen Universitäten aufschließen würden und als ähnlich oder ebenso gut zu bewerten seien (Experte 2, Appendix 1.1). Vor diesem Hintergrund ist die Aussage der DIHK-Studie verständlich. Im Vergleich der Bildungsausgaben bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt steht Deutschland in der Rangliste nicht gut da. Deutschland ist im hinteren Drittel der Rangfolge. Die USA dagegen sind auf Platz zwei (ZEW, 2023: 28-30). Auch hier ist bei der Interpretation Vorsicht geboten. Es kommt nicht auf die Bildungsausgaben, sondern auf die Qualität der Bildung an. Hier ist erneut Experte 2 zu nennen, der auf die höheren Ausbildungsstandards in Deutschland hinweist. Die Bildungsausgaben sind zwar ein wichtiger Indikator, der zukünftige Entwicklungen vermuten lässt, jedoch kein guter Schätzer, um die wirkliche Entwicklung der Qualität zu bestimmen (Experte 2, Appendix 1.1). Unter Einbezug dieser Indikatoren, scheint der derzeitige Stand als deutlich besser gegenüber der vorangegangenen Kategorie Technologie, sowie derzeit in relativ guter Verfassung zu sein. Um der kreativen Klasse eine hohe Standortattraktivität zu bieten, ist bei der Entwicklung des Faktors noch Raum zur Verbesserung.
Dem Faktor Toleranz muss eine Erklärung vorausgeschickt werden. Beispielsweise der Länderindex der Stiftung Familienunternehmen, aber auch die allgemeine Konzeption der Regulierungen des Arbeitsmarktes, verstehen diese als negativen Einfluss auf die Standortqualität. Mit Bezug auf die personenbezogenen Standortfaktoren, aber auch den Faktor Toleranz, müssen die Regulierungen differenziert betrachtet werden, da sie sich ambivalent auswirken. Aus traditioneller Sicht sind z.B. lange Kündigungszeiten oder hohe Arbeitskosten negativ für ein Unternehmen. Für die Arbeitskräfte dagegen sind beides Gründe, sich für einen Standort zu entscheiden. Daher wird jede Kategorie kurz erklärt werden, um zu zeigen, wie die Kategorie verstanden werden soll. Als Erstes werden in Deutschland vergleichsweise hohe Arbeitskosten festgestellt. Deutschland ist hier auf dem Rang 17, mit Kosten von 43,20 € je Stunde. Die USA sind aus herkömmlicher Sicht besser platziert, mit Rang 12 und Arbeitskosten von umgerechnet 34,83 € die Stunde. Dieses Ergebnis wird von Experte 2 und 3 bestätigt. Experte 3 merkt jedoch an, dass die Arbeitskosten in den USA ebenfalls hoch seien (Experte 2, Appendix 1.1; Experte 3; Appendix 1.1). Ebenfalls wichtig sind die Arbeitsmarktregelungen, in denen Deutschland sich im Mittelfeld bewegt (Rang 10), im Vergleich zu den USA aber schlecht dasteht (Rang 2) (ZEW, 2023: 37-39). Auch hier profitieren die USA, da aus herkömmlicher Sicht die für ein Unternehmen hinderlichen Tarifbedingungen in den USA, vergleichsweise niedrig sind. Zur besseren Einordnung der beiden vorangegangenen Aspekte muss auf die personenbezogenen Standortfaktoren eingegangen werden. Berlemann und Göthel können zwar eine negative Korrelation zwischen Arbeitskosten und Direktinvestitionen, sowie zwischen Arbeitsmarktregulierungen und Direktinvestitionen feststellen (vgl. Berlemann & Göthel, 2008: 41-42). Dennoch muss hier erneut auf die Ambivalenz der beiden Indikatoren hingewiesen werden. Erstens ist die Studie von Berlemann und Göthel ist nicht nach Standortentscheidungen mit Bezug auf die kreative Klasse ausgerichtet, sondern bezieht sämtliche Standortentscheidungen mit ein. In Bezug auf die kreative Klasse könnte die Standortentscheidung nicht oder weniger stark von den Arbeitskosten oder der Flexibilität der Arbeit beeinflusst werden. Die eigentlich negativen Faktoren könnten daher für die Unternehmen durch den Zugriff auf die Innovationen und die Kreativität der kreativen Klasse gerechtfertigt sein. Nur so sind die Agglomerationen von Unternehmen zu erklären. Zweitens steht Deutschland mit Blick auf die personenbezogenen Standortfaktoren gut da. Im Vergleich zu den USA ist Deutschland aufgrund der hohen Arbeitsmarktregulationen in diesem Bereich deutlich besser aufgestellt, wie Experte 2 anmerkt (Experte 2, Appendix 1.1). Zum einen bekäme, Work-Life-Balance immer größere Relevanz. Die vielen Regulierungen in Deutschland ermöglichen genau das. Aus dieser Sicht seien sie als äußerst positiv einzuschätzen (Experte 2, Appendix 1.1). Beispielsweise bestätigt Experte 2, dass die tariflichen Bedingungen beim Anwerben der Fachkräfte in Deutschland helfen. Fachkräfte entscheiden sich vermehrt für Branchen mit besseren Bedingungen aufgrund der höheren Löhne und der besseren Work-LifeBalance (Experte 2, Appendix 1.1). Interessanterweise meldet der amerikanische Experte 3 ähnliches aus den USA. Auch hier wird eine erhöhte Nachfrage nach einer besseren Work-LifeBalance bemerkbar, sowie nach Regulierungen des Arbeitsmarktes, die genau das stärken(Experte 3, Appendix 1.1). Daher ist die bemerkte Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unmissverständlich positiv bewertet werden (DIHK, 2020: 14). Die Verbesserung ist zwar nicht als deutlich vermerkt und es gibt immer noch einige Mängel, sie wird aber mit dem kontinuierlichen Ausbau des staatlichen Berufs verbunden (vgl. DIHK, 2020: 14). Da deswegen auch zukünftig eine weitere Verbesserung zu erwarten ist, geht der Trend in die richtige Richtung. Auch den Aussagen von Experte 2 ist der hohe Standard in Deutschland im Vergleich zu den USA zu entnehmen. Da Florida Toleranz als „openness, inclusiveness, and diversity to all ethnicities, races and walks of life“ (Florida, 2003: 10) definiert, müssen noch zusätzliche Indikatoren hinzugezogen werden, um die Toleranz in Deutschland zu bewerten. Der Legatum Prosperity Index (2023) fängt diese Faktoren zum Teil in seinem Personal Freedom Indikator ein. Dieser setzt sich zum einen aus Freiheit von Zwang, Einschränkung der Bewegungs-, sowie der Versammlungs- und Redefreiheit, zum anderen aus dem individuellen Erlebnis und Freiheit von Diskriminierung (Legatum Institute, 2023: 60). In diesem Index landet Deutschland auf dem neunten Platz, während die USA Platz 29 belegen. Zusammenfassend ist Deutschland in Bezug auf den Indikator Toleranz gut aufgestellt. Zwar sind die Indikatoren Arbeitskosten und Arbeitsmarktregulierungen von Unternehmerseite negativ zu bewerten, aus Sicht der Arbeitnehmer sind diese dagegen positiv und können so die negative Bewertung ausgleichen. Nicht nur wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer besser, die Gesellschaft ist offen und erlaubt die kreative Entfaltung der Mitglieder. Als von den 3Ts losgelöst, aber dennoch wichtig, muss als letztes der Fachkräftemangel einbezogen werden. Dieser wird nach der Einschätzung des DIHK immer gravierender (DIHK, 2020: 14). Auch aus den Aussagen von Experten aus den USA und aus Deutschland kann das bestätigt werden. Zwar wird die Suche nach Fachkräften in den USA von Experte 3 ebenfalls als schwierig beschrieben, Experte 2 kann jedoch bestätigen, dass die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt derzeit angespannter ist. Anschaulich ist ein von ihm genanntes Beispiel. Trotz der Rezession verlängerten sich derzeit die Besetzungszeiten der Fachkräfte. Normalerweise wäre in einer Rezession eine Entspannung zu sehen. Laut seiner Aussagen ist eine Verschlechterung der Situation auf beiden Märkten zu erwarten.
ii. Der Faktor Staat in Deutschland und den USA
Bezüglich des Faktors Staat sind vor allem die Regulierungen und die Steuern entscheidend. Trotz der Argumentation Floridas, Länder und Regionen sind nicht erfolgreich, aufgrund der niedrigen Steuern, sondern aufgrund der kreativen Klasse (vgl. Florida, 2003: 9), sind der Staat und die staatlichen Rahmenbedingungen entscheidend. Die Bedeutung der staatlichen Rahmenbedingungen und deren Einfluss auf die Standortentscheidung wurden in diesem Papier bereits durch mehrere Quellen gezeigt (siehe Kapitel 2). Daher werden die staatlichen Regulierungen und die Steuern betrachtet, da sie zum einen, wie bereits gezeigt, ein wichtiger Teil des Diamantmodels sind und als grundlegend für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen an einem Standort sind, und gleichzeitig fundamentale Instrumente der Finanzwissenschaft sind (siehe Kapitel 3). In den betrachteten Studien, wird sowohl über das Steuerrecht, als auch über die Steuern an sich gesprochen. Beides soll hier kurz behandelt werden. Im Vergleich zu anderen Ländern, wird das Steuerrecht in Deutschland als unübersichtlich dargestellt. Beim Indikator „Komplexität des Steuersystems“ Deutschland belegt daher im Länderindex der Stiftung Familienunternehmen nur Platz 16. Die USA stehen jedoch auch nicht deutlich besser da. Sie belegen nur Platz 14 (ZEW, 2023: 19-20). Das DIHK stimmt hier überein und bezeichnet das Steuerrecht als „von Praxistauglichkeit weit entfernt“ (DIHK, 2020: 8). Auffallen würden kurzfristige Änderungen und unübersichtliche Anforderungen (vgl. DIHK, 2020: 8). Experte 1 bestätigt das. Er bezeichnet das deutsche Steuerrecht im Vergleich zu den USA in vielen Fällen als „wahnsinnig undurchsichtig und unklar“ (Experte 1, Appendix 1.2). In Deutschland wird in vielen Fällen nur der Rahmen gesetzliche Rahmen definiert. Gleichzeitig werden aus Gründen der Steuergerechtigkeit viele Sonderfälle definiert. Dadurch ergeben sich viele Möglichkeiten zum Absetzten der Steuern, die aber auch mit Undurchsichtigkeit und langwierigen Prozessen verbunden sind (Experte 1, Appendix 1.2). Die USA seien dagegen genauer und deshalb durchsichtiger (Experte 1, Appendix 1.2). Auch in Bezug auf die Steuerlast ist Deutschland im Vergleich nicht gut. Die Steuerlast erhöht sich kontinuierlich. Hier ist ein Unterschied zwischen den USA und Deutschland zu sehen.
Im Ranking belegt Deutschland den 14. Platz, während die USA auf Platz elf kommen (vgl. ZEW, 2023: 12). Auch hier kann Experte 1 der Lage nur zustimmen und bezeichnet Deutschland als Hochsteuerland (Experte 1, Appendix 1.2). Er bedient sich einiger numerischer Beispiele, um die Situation zu verdeutlichen. Mit Bezug auf den vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) jährlich veröffentlichten Bericht „Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich 2022“ nennt er bspw. den Unterschied in der Abgabenquote Deutschlands im Vergleich zu den USA (39,5% in Deutschland zu 26,6% in den USA (vgl. BMF, 2023: 7) (Experte 1, Appendix 1.2). Er betont allerdings auch, dass die hohen Abgaben ihre Vorteile haben. Deutschland habe ein leistungsfähiges Steuersystem. So habe zum Beispiel die Coronakrise die hohe Resilienz deutlich gemacht. Deutschland können es sich leisten, bspw. (kleinen) Unternehmen Hilfe in Krisenzeiten anzubieten (Experte 1, Appendix 1.2). Betrachtet man die Regulierungen und die Bürokratie in Deutschland, so wird das Bild nicht besser. Die Regulierungen des Arbeitsmarktes werden hier ausgeklammert, da diese bereits in Bezug auf den Faktor Arbeit besprochen wurden. Jedoch haben die Studien einiges über die Fülle an Regulationen, sowie deren Übersichtlichkeit, als auch die Effizienz in der Zusammenarbeit mit der Bürokratie zu sagen. Die Studie des DIHK bezeichnet die Bürokratie als „größtes Hemmnis“ für den Standort Deutschland (DIHK, 2020: 4). Die Fülle und Verständlichkeit von bürokratischen Auflagen und die Bearbeitungszeit von Planungs- und Genehmigungsverfahren, wirken sich negativ auf die wahrgenommene Standortattraktivität in Deutschland aus (vgl. DIHK, 2020: 4-6). Bei diesen beiden Faktoren handelt es sich um die am schlechtesten bewerteten. Nach dem Index ist die schlechte Einschätzung auch im Vergleich zu den anderen Ländern richtig. Deutschland belegt einen der hinteren Plätze. Die USA dagegen stehen deutlich besser da (vgl. ZEW, 2023: 42-44). Besonders die zahlreichen Compliance-Anforderungen werden durch Experte 1 als negativ dargestellt. Diese entwickelten sich von der Menge und den Anforderungen her in „eine unangenehme Richtung“ (Experte 1, Appendix 1.2). Auch seien die Anforderungen zum Teil nicht zielführend und daher vermessen. Als Beispiel führt er die Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der CDU/CSU zur Sinnhaftigkeit der „Mitteilungspflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungen“ an. Compliance Richtlinien wie diese seien ein erheblicher Mehraufwand für die Unternehmen. Aus der Antwort auf die kleine Anfrage gehe allerdings eine große Ineffizienz der Richtlinie hervor. Bei 26.961 Meldungen, seien grade mal 24 als grenzüberschreitende Steuergestaltung aufgefallen und daher zu melden gewesen (Drucksache 20/6734, 2023) (Experte 1, Appendix 1.2). Experte 1 urteilt über dieses Beispiel: „Die Bürokratie lähmt die Unternehmen, da sie irgendwelche Zettel irgendwo rechtzeitig abgeben müssen“ (Experte 1, Appendix 1.2). Gegenüber den USA kann Deutschland im Fall der politischen Stabilität punkten. Die USA belegen hier den letzten Rang. Deutschland kommt allerdings auch hier nur ins Mittelfeld (vgl. ZEW, 2023: 71-73). Daher steht Deutschland zusammen gefasst auch in Bezug auf den Staat nicht gut da. Die Standortattraktivität Deutschlands mit Bezug auf den Faktor Staat erweist sich als schlecht. Sowohl im Thema Steuern im Steuerrecht, als auch in Bezug auf Regulierungen und Bürokratie, sowie die Effizienz des bürokratischen Apparats ist Raum zur Verbesserung.
An dieser Stelle muss das Gesagte in ein erklärendes Licht gerückt werden. Große Unterschiede zwischen den Ländern sind historisch in einer Art Pfadabhängigkeit gewachsen und zu erwarten. Ansätze, wie beispielsweise der „Varieties of Capitalism“ von Hall und Soskice (2001), ordnen Länder je nach kultureller und gesellschaftlicher Ausprägung ein und sprechen unterschiedlichen Ausprägungen auch unterschiedliche Vor- und Nachteile und zu (vgl. Hall & Soskice, 2001). Beispielsweise Arbeitsmarktregulierungen können in den Ländern mit ausgeprägter Regulierung ein Vorteil sein, obwohl sie in den Studien als negativ bewertet werden könnten. Sogar noch frühere Theorien existieren zu diesem Ansatz. Beispielsweise der deutsche Ökonom Friedrich List fordert für jedes Land eine spezifische ökonomische Theorie zu entwickeln, da die kulturellen Unterschiede zu einem Unterschied in den Wirtschaftsabläufen führen (vgl. List, 1841). Bei der Einschätzung eines Standorts sollte dies immer mitbedacht werden.
VI. Rolle des Staates — Wie kannst die Situation verbessert werden?
Nachdem die Probleme in Bezug auf Deutschlands Standortattraktivität erörtert wurden, können nun potentielle staatliche Maßnahmen diskutiert werden. Dafür wird es wohl auf Floridas Theorie der kreativen Klasse eingegangen, als auch auf die Möglichkeiten, die dem Staat in Bezug auf Porters Theorie der Cluster haben. Es werden finanzpolitische Maßnahmen in Betracht gezogen. Die Finanzpolitik kann in mehrere Unterkategorien aufgeteilt werden: in die Fiskal-, Konjunktur-, Wachstums-, Struktur- und Sozialpolitik (bpb, 2016). Diese wiederum haben verschiedene Instrumente zu deren Verfügung: Steuern, Subventionen, Investitionen und Regulierungen.
i. Handlungsmöglichkeiten Faktor Arbeit
Floridas Theorie der kreativen Klasse bietet eine Möglichkeit über Arbeit als Standortfaktor nachzudenken. Mit den 3T sind die Faktoren, die beachtet werden müssen, klar. Deutschland muss alle drei Faktoren aufweisen und verbessern, um zum einen Fachkräfte im Cluster zu bilden, als auch neue Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Wie bereits besprochen, benötigt die kreative Klasse drei Dinge: Toleranz, Technologie, um eine gute Ausgangslage für die kreative Klasse zu bieten und weiterhin ruf dich nun die entwickeln zu können, und Talent, also ein gutes Bildungsangebot. Im Bereich Toleranz ist, wie in vorangegangenen Kapitel etabliert, Deutschland gut aufgestellt. Zum einen wird es immer einfacher Familie und Beruf zu vereinbaren, zum anderen ist die Gesellschaft in Deutschland offen. Das bietet gute Voraussetzungen, um die vorhandenen Arbeitskräfte zu halten und ihnen ein gutes Arbeitsumfeld zu bieten. Auch kann die hohe Toleranz helfen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Toleranz wird von Florida als niedrige Eintrittsbarriere verstanden. Wie von ihm argumentiert wird, sind diese Eintrittsbarrieren wichtig, da heutzutage Städte nicht aufgrund ihrer hohen Geburtenrate wachsen, sondern aufgrund der hohen Zuwanderung (vgl. Florida, 2003: 10). Zwar argumentiert Martin Müller, dass die Zuwanderung deutlich schneller laufen müsste (vgl. Müller, 2023: 3), um den Verlust an Erwerbstätigen durch den demografischen Wandel auszugleichen. Dennoch sollte jeder gesteigerte Zuwachs in Betracht gezogen werden. Hierfür äußert auch Experte 2 Hoffnungen. Das personenbezogene Angebot Deutschlands müsse verbessert werden, um ausländische Fachkräfte nach Deutschland zu holen und an der Abwanderung zu hindern (Experte 2, Appendix 1.1). In der Kategorie Technologie ist wie bereits angesprochen der niedrige Produktivitätszuwachs auffällig. In Deutschland wird der Kapitalstock nicht erneuert und ist vergleichsweise alt. Ist zum Teil auf die schlechten Standortbedingungen zurückzuführen, die Deutschland unattraktiv für Investitionen machen (vgl. vfa, 2023: 6). Gleichzeitig ist es auch auf eine Investitionschwäche des Staates zurückzuführen (vgl. Clemens et al., 2021: 2). Gerade derzeit sind die Voraussetzungen Investitionen staatlicher Seite gut, da aufgrund der Niedrigzinsphase die Crowding-In Bedingungen vorteilhaft sind (vgl. Clemens et al., 2021: 4). Auch eine Möglichkeit ist die gezielte Unterstützung von Forschung und Entwicklung in den Hochtechnologiesektoren Deutschlands. In diesen muss die Führung und des Standorts aufrechterhalten bleiben, um auch zukünftig qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen. Dies widerspricht explizit dem Denken in Clustern, wie Porter sich das staatliche Handeln in Bezug auf Cluster vorstellt (wird in Bezug auf Regulierungen und Steuern näher erläutert). Porter will explizit, dass keine Branchen, Industrien oder Cluster bevorzugt werden. Dies verzerrte den Wettbewerb. Stattdessen sollen alle Cluster gleichermaßen unterstützt werden (vgl. Porter, 2000: 26). Allerdings muss mit dem Blick auf die kreative Klasse ein Mindestmaß an Technologie vorhanden sein, damit dieser Faktor als erfüllt gilt. Gerät Deutschland im internationalen Vergleich technologisch ins Hintertreffen, wäre dieser Faktor nicht erfüllt und kreative Klasse würde sich nicht in Deutschland ansiedeln wollen.
Der Faktor Talent steht in der Analyse zwar nicht schlecht da, es konnte aber Raum zur Verbesserung etabliert werden. Zum einen muss der Trend der schlechter werden Ausbildung, vor allem in den MINT-Fächern, umgekehrt werden. Der derzeit gute Faktor Qualität der Fachkräfte muss erhalten bleiben. Dies geht Hand in Hand mit der Investitionen in die Bildung, welche in Deutschland im internationalen Vergleich niedrig ist. Zusätzlich weist Experte 2 auf eine Reform des Schulsystems hin. Dieses sei auf den Anforderungen der 60er und 70er basierend und nicht mehr zeitgemäß (Experte 2, Appendix 1.1). Mit einem verbesserten Bildungsangebot kann sowohl die Kompetenz der Schüler, als auch das Ausbildungsniveau und die Qualifikation der Fachkräfte erhalten und erhöht werden. Das ist auch notwendig, um die kreative Klasse in Deutschland aufrechtzuerhalten oder sogar wachsen zu lassen. Zum einen ist der Faktor Talent wichtig um, die 3T zu komplettieren. Zum anderen stellt Florida fest, dass eine Klasse an talentierten Bohème (eng. Bohemians) durch ihr kulturelles und gesellschaftliches Angebot weitere Talentierte anziehen. Sie sind mit Schlüssel, um ein kulturell ansprechendes Milieu für die kreative Klasse zu erzeugen (vgl. Florida, 2002a: 66).
ii. Handlungsmöglichkeiten Faktor Staat
Um die Bedingungen der Cluster in Bezug auf Regulierungen und Steuern zu verbessern, nennt Porter einige Möglichkeiten. Regulierungen, Bürokratie und Steuern sind als Hemmnisse zu verstehen, die Aktivitäten in Clustern erschweren. Dadurch verhindern Sie, dass die Cluster ihr volles Potenzial ausnutzen. Porter empfiehlt den Abbau von diesen Hemmnissen und die Erleichterung der Aktivitäten in einem Cluster. Als Folge werden die Cluster produktiver und innovativer (vgl. Porter, 2000: 26). Konkret kann der Staat einiges unternehmen, um die Aktivitäten im Cluster zu stärken und den Wettbewerb so unverzerrt wie möglich zu lassen (Porter, 2000: 28). Für den Faktor Steuern ist die Handlungsempfehlung leicht verständlich. Um Hemmnisse zu reduzieren und für Erleichterungen zu sorgen, muss der Staat wettbewerbsverzerrende Steuern abbauen und steuerliche Erleichterungen auf den Weg bringen, die Wachstum und Innovationen fördern. Einige Beispiele steuerlicher Erleichterungen dieser Art belegen den Nutzen einer steuerlichen Erleichterung. Die Studie der DIHK nennt die steuerliche Förderung für Forschung und Entwicklung von 2020, welche erkennbar die Innovationskraft förderte (vgl. DIHK, 2020: 12). Auch Experte 1 nennt ein Beispiel mit der Absenkung des Körperschaftssteuersatzes 2008 von 25 % auf 15 %. Durch die positiven Effekte auf das Wachstum und die Innovationskraft seien im nächsten Jahr die Steuereinnahmen von dieser Steuer, trotz der Reduktion gestiegen. Auch in den USA habe der „Tax Cuts and Jobs Act“ mit einer Reduktion der Körperschaftssteuer ähnliches bewirkt (Experte 1, Appendix 1.2). Gleichzeitig muss der Staat Regulierungen abbauen, da so die Effizienz der Behörden und die Genehmigungsverfahren vereinfacht werden. Die Geschwindigkeit der ökonomischen Aktivität kann so deutlich erhöht werden. Investitionen können schneller getätigt werden, Technologien leichter auf den Weg gebracht werden und neue Produktionsanlagen gebaut werden. Das kann sich auf einige anstehende Projekte, wie den Ausbau erneuerbarer Energien, den Ausbau der digitalen Infrastruktur, der Verkehrsinfrastruktur und die Erneuerung des Kapitalstocks positiv auswirken. An diesen Baustellen sind auch direkte Investitionsprogramme nötig, die wie bereits angedeutet aufgrund der guten Crowding-In Bedingungen besonders wirksam sind. Diese sollten auf die als (zukünftig) hochproduktive Branchen (vgl. vfa, 2023: 7) setzen, um die Produktivität in Deutschland wieder anzukurbeln. Gleichzeit sind das die Brachen und Cluster, in denen zukünftig technologische Fortschritte zu erwarten sind. Gleichzeitig bietet das die Möglichkeit für das Entstehen neuer Cluster. Dies sind nötige Anreize für die kreative Klasse aufrechtzuerhalten.
VII. Schluss
Im internationalen Standortvergleich steht Deutschland schlecht da, insbesondere gegenüber den USA. Die Analyse der Standortfaktoren Arbeit und Staat anhand einiger Studien hat einen großen Unterschied der Standortqualität der USA und Deutschland in beiden Faktoren aufgezeigt. Da diese beiden Faktoren nach Porters Theorie der Cluster als besonders bedeutend identifiziert wurden, ist diese Lage problematisch. Für den Faktor Staat, der als Rahmen und Haupteinfluss auf die Aktivitäten und die Gesundheit eines Clusters verstanden werden kann, wurden Regulierungen, die damit verbundene Bürokratie und die steuerliche Lage als hinderlich identifiziert. Diese dämpfen den Wettbewerb, da sie die Aktivitäten in einem Cluster einschränken. Das Cluster kann daher sein volles Wachstumspotential und seine volle Innovationskraft nicht ausschöpfen. Die befragten Experten bestätigen das. Der Staat muss daher diese Hindernisse abbauen und die Innovationskraft der Cluster stärken. In Deutschland ist die Situation deutlich schlechter als in den USA. Die drei untersuchten Faktoren Regulierungen, Steuerrecht und Steuerlast sind in Deutschland eine erheblich größere Belastung als in Amerika. Sowohl in den Studien, als auch in den Interviews schneiden die USA besser ab als Deutschland. In diesen Faktoren erweisen sich die USA als attraktiverer Standort. Der Faktor Arbeit, der nach Porters Theorie ebenfalls besonders relevant ist, und nach Floridas Theorie der kreativen Klasse beleuchtet wurde, ist ebenfalls nicht in guter Verfassung. Von den 3T Talent, Technologie und Toleranz, ist einzig die Toleranz in guter Verfassung im internationalen Vergleich und im Vergleich zu den USA. Sowohl in der Technologie und dem Talent vermerken die Studien und die Experten schlechte derzeitige Zustände oder besorgniserregende Trends in Deutschland in Bezug zu den erheblich besser abschneidenden USA. Die Politik muss auf diese Zustände eingehen, um wettbewerbsfähig in Bezug auf die kreative Klasse zu bleiben, und um die Produktivität und die Innovationskraft erneut zu steigern. Wichtig zu beachten ist, nicht die Gesamtheit der Standortfaktoren wurde besprochen, sondern einzelne Standortfaktoren. Diese sind zwar besonders wichtig, aber nicht die einzigen relevanten. Es kann bspw. ein größerer Fokus auf die weichen Standortfaktoren gelegt werden. Auch ist die Liste der möglichen Handlungen nicht erschöpfend, sowie die konkreten Vorschläge durchdacht. Andere Handlungsmöglichkeiten können ebenfalls wichtig sein.
Laurence Leibinger
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