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Die drei Dimensionen der Politik und deren Bedeutung für die Politikberatung




Journalistischer Abstract: Think Tanks sind heutzutage wichtige Akteure in der Politik und nehmen sowohl auf politische Entscheidungen als auch auf die öffentliche Meinung Einfluss. Idealerweise sollten sie die notwendige Brücke zwischen Wissenschaft und Politik darstellen und so einen wichtigen Beitrag zu der Lösung drängender Probleme leisten. Trotz der zunehmenden Relevanz von Think Tanks gibt es bereits seit längerem eine Debatte um die Effektivität dieser Einrichtungen. Einen Beitrag zu dieser Debatte liefert Martin Thunert in seinem im Jahr 2003 erschienenen Text „Think Tanks in Deutschland - Berater der Politik?“. Thunert stellt die These auf, dass die grundlegenden Funktionslogiken von Politik und Wissenschaft sich grundsätzlich unterscheiden, wodurch ein strukturelles Problem in der Politikberatung bedingt werde. Jedoch liefert Thunert weder eine genaue Definition besagter Funktionslogiken von Politik und Politikberatung noch einen Beleg für seine These. In diesem Essay, welches im Rahmen des Kurses „Aktuelle Themen der Politik“ entstanden ist, werden die Funktionslogiken der Politik anhand einer Ausdifferenzierung des Politikbegriffes in die Kategorien Polity, Policy und Politics und die Funktionslogiken der wissenschaftlichen Politikberatung anhand des dezisionistischen Modells analysiert. Auf Grundlage dieser Modelle wird dargestellt, dass die Funktionslogiken der Politik und der wissenschaftlichen Beratung sich tatsächlich deutlich voneinander abgrenzen. Ebenfalls wird gezeigt, dass es sich bei vielen Herausforderungen in der Politikberatung tatsächlich um Folgeprobleme handelt, welche auf Grundlage der differenzierten Funktionslogiken der Politik und der wissenschaftlichen Beratung entstehen. Insofern wird die vorgestellte These Thunerts bestätigt.


Paper: Think Tanks haben sich zu wichtigen Akteuren in der politischen Landschaft entwickelt, die maßgeblichen Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse und die öffentliche Meinung nehmen können (Bressan und Hoxtell 2023). Sie sind inzwischen zu einer festen Größe in der Politik geworden und ihre Bedeutung wächst sowohl in Deutschland als auch weltweit (Lux 2021). Viele moderne politische Herausforderungen wie der Klimawandel können nur unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Expertise gelöst werden (Böcher 2018). Entsprechend besteht ein großes gesellschaftliches Interesse an einer funktionsfähigen und effektiven Politikberatung, da diese einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung unserer Gesellschaft leistet. Trotz der zunehmenden Relevanz von Think Tanks gibt es bereits seit längerem eine Debatte um die Effektivität dieser Einrichtungen. So stellt Martin Thunert bereits in seinem 2003 erschienenen Text „Think Tanks in Deutschland - Berater der Politik?“ die These auf, dass die Politikberatung in Deutschland ein strukturelles Problem aufweist. Die grundlegenden Funktionslogiken von Politik und Wissenschaftseien differenziert voneinander und nur schwer in Einklang zu bringen. Diesstelle ein strukturelles Problem der Politikberatung in Deutschland dar, welches eine Vielzahl von Schwierigkeiten für die Politikberatung bedinge (Thunert 2003). Eine genaue Definition, worin diese gegensätzlichen Funktionslogiken der Politik beziehungsweise der Beratung bestehen, bleibt Thunert allerdings schuldig. In diesem Essay wird die vorgestellte These von Thunert näher analysiert. Zunächst wird überprüft, wie sich die Probleme in der Politikberatung seit 2003 entwickelt haben und inwieweit die Probleme, die Martin Thunert in seinem Text aufwirft, die heutige Realität abbilden. Anschließend werden die Funktionslogiken von Politik und wissenschaftlicher Beratung näher untersucht. Die drei Dimensionen der Politik - Polity, Policy und Politics dienen hierbei als Grundlage für die Analyse der Funktionslogiken der Politik. Um die Funktionslogik der wissenschaftlichen Beratung aufzuschlüsseln, wird das dezisionistische Modell verwendet. Auf Grundlage dieser Modelle wird bewertet, inwieweit ein strukturelles Problem entgegengesetzter Funktionslogiken als die Ursache für die von Thunert angeführten Probleme der Politikberatung angenommen werden kann. Der Begriff Think Tank wird heutzutage frei verwendet. In diesem Essay werden Think Tanks als „privat oder öffentlich finanzierte praxisorientierte Forschungsinstitute, die wissenschaftlich fundiert politikbezogene und praxisrelevante Fragestellungen behandeln“ (Thunert 2003) definiert. Im Jahr 2003 gab es in Deutschland je nach Rechnung zwischen 80 und 130 Think Tanks, weltweit waren es etwa 3.000 (ebd). Ungefähr die Hälfte aller Think Tanks weltweit waren zu dieser Zeit in Nordamerika ansässig. In Europa waren es circa 600 (ebd). Im Jahr 2020 gab es weltweit hingegen bereits 11.175 Think Tanks (McGann 2021). Nicht nur die Anzahl der Think Tanks hat sich zwischen 2003 und 2020 massiv verändert, auch die Verteilung hat sich gewandelt. So liegt die Region Nordamerika mit 2.397 Think Tanks quantitativ nur noch auf Platz drei. An zweiter Stelle findet sich Europa mit insgesamt 2932 ansässigen Think Tanks. Der mit Abstand größte zahlenmäßige Zuwachs ist auf dem asiatischen Kontinent zu verzeichnen. Hier standen 2020 3.389 Think Tanks, in Deutschland waren es 266 (ebd). Zumindest was die Quantität und die globale Verteilung angeht, hat sich die weltweite Think Tank Landschaft demnach deutlich weiterentwickelt. Haben sich die Mängel in der wissenschaftlichen Beratungspraxis, die Martin Thunert in seinem 2003 erschienenen Text „Think Tanks in Deutschland - Berater der Politik?“ aufwirft, in diesem Zeitraum ähnlich weiterentwickelt? Gängige Vorwürfe, welche die Politik gegen Beratungsunternehmen vorbringen würde, waren nach Thunert: Phobie gegen Praxisnähe, theoretische Verspieltheit, mangelnder Realitätsbezug sowie eine Unkenntnis der politischen Abläufe. Die Beratungsunternehmen würden stattdessen vor allem die Gegenseite kritisieren. Als Hemmnisse der Politik würden von dieser Seite aus vor allem institutionelle Umsetzungsprobleme, politische Scheuklappen, die politische Instrumentalisierung der wissenschaftlichen Beratung, schlechtes Zeitmanagement, die Unfähigkeit zur Prioritätensetzung und eine Verarmung des zukunftsgerichteten Denkens genannt (Thunert 2003). Auch moderne Werke stellen einen Bruch zwischen Politik und wissenschaftlicher Beratung fest. So hebt beispielsweise Prof. Dr. Michael Böcher hervor, dass Politik und Wissenschaft auf unterschiedlichen Prinzipien basieren (Böcher 2018). So habe die Politik das Ziel Macht auszuüben und politische Entscheidungen zu treffen, um die Interessen und Bedürfnisse der Gesellschaft zu vertreten. Wissenschaftliche Forschung ziele hingegen darauf ab, neue Erkenntnisse zu generieren und bestehendes Wissen zu vertiefen, unabhängig von politischen Interessen. Im Gegensatz dazu würden politische Entscheidungen aus einer Kombination von Werten, Ideologien, individuellen Interessen und Fakten getroffen. Wissenschaftliche Erkenntnisse seien demnach nur ein Teil politischer Entscheidungsfindung. In diesem Kontext lässt sich der Vorwurf der Phobie gegen Praxisnähe, welcher laut Thunert wissenschaftlichen Beratungsunternehmen entgegengebracht wird, einordnen. So ist es nachvollziehbar, dass ein Politiker, welcher in seinen Entscheidungsfindungsprozess neben wissenschaftlichen Überlegungen auch Werte, Ideologien und individuelle Interessen berücksichtigen muss, eine Policy-Empfehlung, welche letztere Kriterien ausklammert, wenig praxisorientiert erscheint. Vom Standpunkt des Beraters aus lassen sich ebenfalls Kritikpunkte Thunerts einordnen. Die Ansicht, dass Politik unfähig ist, Prioritäten zu setzen, kann aus einer technokratischen Perspektive folgen, welche die komplexen politischen Zwänge und Gegebenheiten ausklammert. Auch der Vorwurf der politischen Instrumentalisierung der wissenschaftlichen Beratung kann in diesem Kontext eingeordnet werden. Wenn angenommen wird, dass Politiker individuelle Interessen in ihre Entscheidungen einbeziehen und auf Basis dieser wissenschaftliche Erkenntnisse selektieren, welche in die bereits im Vorfeld gesetzte politische Agenda passen. Auch können wissenschaftliche Erkenntnisse frei interpretiert werden, um bereits getroffene politische Entscheidungen zu rechtfertigen. Gleiches gilt für den Vorwurf der politischen Scheuklappen, wenn politische Entscheidungen aufgrund der Logiken politischer Entscheidungsfindung entgegen wissenschaftlichen Empfehlungen getroffen werden. Auch der Vorwurf einer Verarmung des zukunftsgerichteten Denkens gegen die Politik ist aus wissenschaftlicher Perspektive nachvollziehbar, wenn vermeintlich objektiv richtige Entscheidungen aufgrund politischer Überlegungen oder institutioneller Umsetzungsprobleme nicht getroffen werden. Ein Faktor, der diesen Eindruck zusätzlich verstärken könnte, ist der Umstand, dass wissenschaftliche Erkenntnisse häufig nicht eindeutig sind und teils kontrovers diskutiert werden. So etwa in der Debatte um die Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichters „Glyphosat“ (Böcher 2018). Dies schafft zusätzlichen Spielraum für politisch motivierte Entscheidungsfindungen abseits wissenschaftlicher Beratung. Ebenso wie Thunert betont auch Böcher die Relevanz der zeitlichen Komponente in der politischen Beratung. Politische Entscheidungen müssten häufig kurzfristig getroffen werden, um auf aktuelle Ereignisse oder gesellschaftliche Anliegen zu reagieren. Im Gegensatz dazu sei die wissenschaftliche Forschung ein langfristiger Prozess, der gründliche Untersuchungen erfordere und Zeit benötige, um fundierte Erkenntnisse zu gewinnen. Entscheidungen könnten in der politischen Praxis vor allem dann getroffen werden, wenn die politische Situation es erfordere oder ermöglicht (ebd). Von Seiten der Berater aus könnte dies als schlechtes Zeitmanagement interpretiert werden. Deutlich wird hier allerdings insbesondere, dass die Funktionslogiken der wissenschaftlichen Politikberatung sich teilweise deutlich von denen der Politik unterscheiden. Unter Berücksichtigung der Vorwürfe, welche die Beratungsbranche laut Thunert der Politik entgegenbringt, tatsächlich die Unkenntnis der politischen Abläufe seitens der Berater als eine Ursache für das problematische Verhältnis zwischen Politik und Beratung angenommen werden kann. Zugespitzt benannt könnte dies, wie bei Thunert, als theoretische Verspieltheit oder als mangelnden Realitätsbezug betitelt werden, wenn faktisch vorhandene politische Gegebenheiten von Beratungsunternehmen ignoriert werden.

Politikberatung nimmt nach Paul Kevenhörster zwei zentrale Funktionen für die Politik wahr. Zum einen dient die wissenschaftliche Beratung dazu, Informationsdefizite der Verwaltung oder der Politik zu beseitigen und so durch die Bereitstellung von Informationen aktiv zur politischen Entscheidungsfindung beizutragen. Die zweite Funktion der Politikberatung sei es, bereits beschlossene oder durchgeführte politische Entscheidungen zu legitimieren (Kevenhörster 2021). Kevenhörster sieht „vor allem konzeptionelle und sprachliche Hemmnisse bei der Umsetzung wissenschaftlicher Beratung in praxisrelevante politische Entscheidungsalternativen, die einseitige Interpretation von Daten und Forschungsgläubigkeit auf Seiten der Auftraggeber und schließlich das mangelnde wechselseitige Verständnis von Zielvorgaben, Arbeitsmethoden, Zeitbudgets und Informationsbedürfnis“ (Kevenhörster 2021) als die wichtigsten Hürden der Politikberatung. Das von Kevenhörster aufgegriffene mangelnde wechselseitige Verständnis zwischen Politik und Think Tanks unterstützt Thunerts These, nach welcher die grundlegenden Funktionslogiken von Politik und Wissenschaft sich voneinander differenzieren und nur schwer in Einklang zu bringen sind. Auch die von Kevenhörster vorgebrachten Probleme der Beziehung zwischen Beratung und Politik stehen im Einklang mit denen Thunerts. Paul Kevenhörster vertieft die Problemanalyse, indem er drei zentrale Defizite in der Politikberatung herausarbeitet. Diese zentralen Defizite benennt Kevenhörster als das Transparenzproblem, das Pluralitätsproblem und das Publizitätsproblem. Das Transparenzproblem manifestiere sich in der mangelnden Durchsichtigkeit des politischen Prozesses, Medien und Öffentlichkeit. Die Entscheidungsfindung und die Einflüsse, die auf politische Entscheidungsträger wirken, blieben oft im Verborgenen. Diese mangelnde Transparenz führe zu einem Informationsdefizit bei der Öffentlichkeit und würde eine kritische Bewertung der politischen Entscheidungen erschweren. Das Pluralitätsproblem sei das Resultat der begrenzten Vielfalt von wissenschaftlichen Erkenntnisperspektiven und praktischen Beratungsinteressen. Oft fehle es an einer breiten, interdisziplinären Herangehensweise, da nur wenige Disziplinen in die Beratungsprozesse einbezogen würden. Dies führe zu einem eingeschränkten Blickwinkel und zu einseitigen oder unvollständigen Empfehlungen. Das Publizitätsproblem bezieht sich auf die fehlende Verpflichtung der politischen Institutionen zur Veröffentlichung von Beratungsergebnissen. Viele Beratungsergebnisse würden nicht öffentlich zugänglich gemacht, was die Möglichkeit einer unabhängigen Überprüfung und Bewertung der vorgeschlagenen Maßnahmen erschwere. Die Geheimhaltung von bestimmten Studien und Analysen führe zu Intransparenz und Misstrauen in der Öffentlichkeit (ebd).


Auch für Hoxtell & Bressan stellt die Transparenz der politischen Prozesse und Entscheidungsfindungen eine Herausforderung für Think Tanks dar. Transparenz der politischen Entscheidungsprozesse sei für Denkfabriken relevant, da ein Einblick in die Einflussfaktoren einer politischen Entscheidung maßgeblich den Erfolg einer PolicyEmpfehlung beeinflussen würde. Intransparente politische Strukturen würden außerdem bedingen, dass politische Entscheidungsträger keine klaren Richtlinien haben, was zu Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit im Beratungsprozess führe (ebd). Zudem stelle die Dynamik der gesellschaftlichen, technischen und politischen Entwicklung Think Tanks vor Herausforderungen. Denkfabriken müssten flexibel sein und sich kontinuierlich anpassen um effektiv zu bleiben, so Hoxtell & Bressan. Beispielsweise würde sich die Art effektiver Kommunikation mit politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit beständig weiterentwickeln (ebd). Es wird deutlich, dass es sich bei der Analyse der Probleme der Politikberatung Thunerts um eine oberflächliche Betrachtung handelt, welche relevante Probleme der modernen Politikberatung außenvor lässt. So auch den Umstand, dass die Empfänglichkeit für externe Ideen bei politischen Entscheidungsträgern stark variiert. So sind politische Entscheidungsträger häufig nur selektiv offen gegenüber externen Ideen und Empfehlungen. Dies sei unteranderem auf bürokratische oder politische Beschränkungen zurückzuführen (Bressan und Hoxtell 2023). Aufgrund der Beschaffenheit des politischen Systems sind Think Tanks beispielsweise darauf angewiesen, sogenannte windows of opportunity zu nutzen, in denen die Einflussnahme durch Think Tanks begünstigt wird (ebd). Eine genaue Analyse der Vielzahl der Befunde, welche verschiedene Autoren in der Politikberatung ausmachen, übersteigt das Ziel dieses Essays. Die Befunde moderner Autoren, die im Rahmen dieses Essays vorgestellt wurden und bei Thunert keine Erwähnung finden, widerlegen Thunerts These eines strukturellen Problems jedoch nicht, sondern bauen sein Argument weiter aus. So basiert die Relevanz der windos of opportunity ebenfalls auf den Besonderheiten der politischen Strukturen, welche sich von denen der wissenschaftlichen Beratung abgrenzen. Auf Grundlage der analysierten Texte zeigt sich, dass die Probleme der Politikberatung, welche Thunert bereits im Jahre 2003 festgestellt hat, immer noch Aktualität haben. So ist auffällig, dass in allen der analysierten texte die zeitliche Komponente als ein Problempunkt der Politikberatung genannt wird. Insbesondere in der Problemanalyse von Böcher lassen sich alle Punkte Thunerts wiederfinden. Um diese Probleme der Politikberatung besser einordnen zu können und Thunerts These von einem strukturellen Problem der Politikberatung zu überprüfen, ist ein tieferes Verständnis der politischen Strukturen erforderlich. Eine gute Grundlage für eine Betrachtung dieser bietet die Aufspaltung des Politikbegriffes in die Kategorien polity, policy und politics.


Policy bezeichnet die inhaltliche Dimension der Politik. Diese Ebene bezieht sich auf Handlungsprogramme, die von politischen Akteuren und Instanzen verfolgt werden, sowie auf die Ergebnisse politischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse (Rohe 1994). Die Policy-Analyse der Politik konzentriert sich demnach auf die tatsächlichen politischen Maßnahmen und Programme, die im Rahmen des politischen Prozesses entwickelt und umgesetzt werden.


Politics beschreibt den konflikthaften Prozess und die Auseinandersetzung um Machtanteile zwischen verschiedenen politischen Gruppen und Personen in dem politischen Prozess. Immer dann, wenn gesellschaftliches Handeln unter dem Zwang der Rücksichtnahme auf andere Akteure steht, die Einfluss aufeinander nehmen können (ebd). In diesem Sinne betrifft Politics die Interaktion und den Wettbewerb zwischen politischen Akteuren und Gruppen im Streben nach politischer Macht und Einfluss.


Polity bezieht sich auf den Handlungsrahmen der Politik, innerhalb dessen sich Policy und Politics bewegen. Neben der kodifizierten Verfassung gehören zur Polity auch die politische Kultur einer Gesellschaft sowie typische Orientierungs- und Verhaltensmuster (ebd). Polity beschreibt demnach die formale institutionelle Struktur eines politischen Systems und den soziokulturellen Kontext, in dem Politik stattfindet. Die enge Verknüpfung zwischen den institutionellen Strukturen, den politischen Entscheidungen und den politischen Prozessen in einer Gesellschaft wird von Rohe hervorgehoben. Es wird angenommen, dass die drei Dimensionen der Politik in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander stehen. Politik könne nur erfolgreich durchgeführt oder verstanden werden, wenn alle Bereiche in Ihrer Gesamtheit betrachtet werden und die verschiedenen Interdependenzen berücksichtigt werden (ebd). Entsprechend muss noch dem Modell von Rohe für eine erfolgreiche Politikberatung ebenfalls eine ganzheitliche Betrachtung der Politik erfolgen.


Welche grundlegenden Strukturen lassen sich für die Praxis der wissenschaftlichen Beratung aufzeigen? Aus der sozialwissenschaftlichen Diskussion zu dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis sind verschiedene Modelle zur wissenschaftlichen Politikberatung hervorgegangen (Kevenhörster 2021). Das dezisionistische Modell wird als die in Deutschland verbreitetste Auffassung zum Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft angesehen (ebd). Das dezisionistische Modell beruht auf den wissenschaftstheoretischen Prinzipien von Max Weber, insbesondere auf seiner Forderung nach einer klaren Abgrenzung von sachlichen und wertenden Aussagen. Nach der dezisionistischen Auffassung muss wissenschaftliche Beratung und Forschung demnach strikt nach dem Prinzip der Werturteilsfreiheit operieren. Dies bedeutet auch eine strikte Trennung der Funktionen des wissenschaftlichen Beraters und des Politikers. Politische Werte und Ziele sind nach dezisionistischer Vorstellung gänzlich aus dem Bereich der Wissenschaft auszuschließen (ebd). Themen, welche unter dem Polity- oder Politics-Begriff fallen, müssen nach dezisionistischer Auffassung aus dem Prozess wissenschaftlicher Beratung ausgeklammert werden. Der Beitrag wissenschaftlicher Beratung soll stattdessen eine rationale Auswahl von Mitteln für die Erreichung politischer Ziele darstellen, welche der „irrationalität der politischen Zielfindung“ eine „rationale Auswahl von Mitteln für gegebene Ziele“ entgegenstellt (Kevenhörster 2021).


Es wird deutlich, dass der Politikbegriff, wenn man ihn als eine Kombination aus Polity, Policy und Politics versteht, im klaren Gegensatz zu dem dezisionistischen Verständnis wissenschaftlicher Beratung steht. Wie dargestellt, greifen die Politikbereiche Polity, Policy und Politics ineinander und müssen für eine effiziente Einflusshahne auf die Politik in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Eine erfolgreiche Durchsetzung einer Policy-Empfehlung in einem demokratischen System ist nur möglich, wenn diese im Rahmen des Politics-Begriffes mehrheitsfähig durchgesetzt werden kann und im Rahmen des Polity-Begriffes im Einklang mit der institutionellen Struktur des politischen Systems und dem weiteren soziokulturellen Kontext steht. So beschreibt Rohe Politik als „die Verwirklichung von Politik-Policy – mit Hilfe von Politik-Politics – auf der Grundlage von Politik-Polity“ (Rohe 1994). Dies steht im klaren Gegensatz zu dem dezisionistischen Ansatz der Politikberatung, welche eine strickte Abgrenzung von dem innerpolitischen Diskurs für die wissenschaftliche Beratung vorsieht.


Eine Policy-Empfehlung, welche die Polity- und Politics-Dimension ausklammert, erscheint nur eingeschränkt nutzbar und kaum praxistauglich. Auf Grundlage der drei Begriffe der Politik und des dezisionistischen Begriffes können demnach bedeutende strukturelle Unterschiede der grundlegenden Funktionslogiken von Politik und wissenschaftlicher Beratung in Deutschland angenommen werden. Dies steht im Einklang mit der These Thunerts, die in diesem Essay untersucht wird. Zuletzt bleibt zu analysieren, ob die voneinander differenzierten Funktionslogiken mit den benannten Problemen der Politikberatung in Zusammenhang stehen und somit die Hauptthese Thunerts, nachdem die Politikberatung in Deutschland unter einem strukturellen Problem leidet, verifiziert werden kann.


Der Vorwurf der institutionellen Umsetzungsprobleme, welcher sich die Politik nach Thunert ausgesetzt sieht, lässt sich der Polity-Dimension zuordnen, da dieser sich auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung politischer Maßnahmen innerhalb des institutionellen Rahmens der Politik bezieht. So können die administrativen Voraussetzungen und bürokratischen Strukturen des politischen Systems von der Politikberatung als hemmend auf die Durchführung der vermeintlich objektiven Empfehlungen der wissenschaftlichen Beratung wirken, was zu Frustrationen führt. Der Vorwurf der politischen Scheuklappen lässt sich, je nach Interpretation, sowohl im Bereich der Polity-Dimension als auch der Politics-Dimension einordnen. So kann sich ein Politiker aufgrund der institutionellen Struktur des politischen Systems verschlossen gegenüber einer wissenschaftlich fundierten Handlungsempfehlung zeigen. Möglich ist allerdings auch, dass sich der Politiker im Rahmen des konflikthaften politischen Prozesses gezwungen sieht, eine Handlungsempfehlung nicht wahrzunehmen. Ein Beispiel hierfür ist die Politisierung der wissenschaftlichen Beratung während der Covid-19- Pandemie. Während zu Pandemiezeiten einige Politiker den Empfehlungen der Virologen und Epidemiologen folgten, kritisierten andere diese als zu radikal und schädlich für die Wirtschaft (Weingart 2021). Dabei wurden die wissenschaftlichen Experten teilweise persönlich angegriffen oder als Lobbyisten dargestellt, die ihre eigenen Interessen verfolgen oder die Politik manipulieren wollen (Falk et al. 2019). Die eigene politische Agenda, innerhalb des individuellen parteipolitischen soziokulturellen Kontextes, wie auch ein damit in zusammenhängendes Machtkalkül können hierbei eine Rolle gespielt haben. Dies veranschaulicht, wie der konflikthafte politische Prozess, sowie der soziokulturelle Kontext die Akzeptanz und Anwendung wissenschaftlicher Ratschläge erschweren kann. Der Vorwurf der Verarmung des zukunftsgerichteten Denkens sowie die Unfähigkeit zur Prioritätensetzung können als ein Aspekt der Policy-Dimension verstanden werden, da der Kernpunkt dieser Kritik die Inhalte und Ziele des politischen Handelns betrifft. Der Wunsch zukunftsgerichtetes Denken impliziert, dass Politik nicht nur die gegenwärtigen Probleme und Bedürfnisse berücksichtigen sollte, sondern auch die langfristigen Folgen und Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf die Gesellschaft, die Umwelt und die nachfolgenden Generationen. Dies erfordert ein enges Zusammenspiel von Politik und Wissenschaft, da eine zukunftsorientierte Politik beispielsweise im Rahmen der Klimakrise, auf eine evidenzbasierte und vorausschauende Politikberatung angewiesen ist, die verschiedene Szenarien und Optionen aufzeigt und bewertet. Um den Vorwurf einer Verarmung des zukunftsgerichteten Denkens zu begründen, recht jedoch die Policy-Ebene nicht aus. Vielmehr scheint dieser Eindruck aufgrund der unterschiedlichen Funktionslogiken von Politik und Wissenschaft auf der Polityund Politics-Ebene zu entstehen. So sind für Politiker neben wissenschaftlichen Policy Empfehlungen auch andere Aspekte wie der persönliche Machterhalt relevant. Unter anderem die Legislaturperioden im deutschen demokratischem System begünstigen hierbei kurzfristiges Handeln. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der sogenannte politische Konjunkturzyklus. Dieser Begriff beschreibt das Phänomen, dass Regierungen vor Wahlen dazu neigen, die Staatsausgaben zu erhöhen, um kurzfristig an Popularität zu gewinnen (Schlösser 2007). In der Regel widersprechen diese Maßnahmen den wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Experten (ebd). Dies ist ein Hinweis auf die Nutzung des dezisionistischen Modells in der deutschen Politikberatung, da die Politikdimensionen Polity und Politics von der wissenschaftlichen Beratung ausgeklammert werden, wodurch sich die präferierten Policy-Maßnahmen von Politikern und Wissenschaftlern unterscheiden können. Durch den Anreiz einer politischen Partei oder eines Politikers mehrere Interessensgruppen anzusprechen, können wissenschaftliche Ratschläge verwässert werden. Dies kann als Unfähigkeit zur Prioritätensetzung ausgelegt werden. Ein Beleg für die Anreizstrukturen, Themen möglichst unspezifisch zu behandeln, findet sich in politischen Wahlprogrammen. Diese sind gezielt unverbindlich gestaltet, sodass sich möglichst viele verschiedene Strömungen darin wiedererkennen können (Korte 2021). Anreize für die politische Instrumentalisierung wissenschaftlicher Beratung liegen insbesondere im Politics-Bereich, um sich im politischen Machtkampf einen Vorteil gegenüber den Konkurrenten zu verschaffen. Ebenso internalisiert sich das strukturelle Problem der entgegengesetzten Funktionslogiken von politischer Praxis und wissenschaftlicher Beratung auch in dem mangelnden wechselseitigen Verständnis von Zielvorgaben, Arbeitsmethoden, Zeitbudgets.


Es wird deutlich, dass sämtliche Probleme der Politikberatung, welche Thunert benannt hat, in enger Verbindung zu den grundverschiedenen Funktionslogiken von Wissenschaft und Politik stehen. Thunerts These kann demnach bestätigt werden. Tatsächlich stellen die gegensätzlichen Funktionslogiken von Politik und Wirtschaft ein strukturelles Problem der Politikberatung dar. Bemerkenswert ist, dass sich viele der Folgeerscheinungen des strukturellen Problems der Funktionslogiken seit 2003 kaum entwickelt zu haben scheinen. Dies steht im Gegensatz zu der mindestens quantitativ drastischen Entwickelung in deutschen Think Tank Sektor. Es scheint, dass ein Umdenken in der wissenschaftlichen Beratung und eine Abkehr von dem dezisionistischen Modell erforderlich ist, um den strukturellen Problemen der Politikberatung entgegenzuwirken. Ein interessanter alternativer Ansatz wissenschaftlicher Beratung ist das pragmatische Modell.


Das Ziel des pragmatischen Modells ist es, das empirisch-strategische Wissen der Wissenschaft und die demokratisch legitimierte Wertorientierung der Politik innerhalb einer wissenschaftlich fundierten Debatte zu kombinieren (Korte 2021). Die Funktionen der Politiker und der Wissenschaftler wird im pragmatischen Modell nicht voneinander getrennt, stattdessen soll der Austausch beider Seiten in einem Wechselverhältnis gefördert werden. Im Beratungsprozess zwischen Wissenschaft und Politik werden die Wechselbeziehungen im pragmatischen Modell durch Stufen bestimmt (Kevenhörster 2021): Zunächst erfolgt die Präzisierung des Problems, gefolgt von der Interpretation der Ziele, bei der Interessen und Konflikte aufgedeckt werden. Anschließend werden die Ziele in einer klaren Rangordnung formuliert, wobei Widerspruchsfreiheit oberste Priorität hat. Die gesellschaftliche Situation wird analysiert und zukünftige Entwicklungen prognostiziert. Daraufhin werden Handlungsmöglichkeiten ermittelt, die im Einklang mit den formulierten Zielen stehen – dies stellt die Minimumlösung dar. Durch eine schrittweise Spezifizierung der Zielsetzungen bei verschiedenen Handlungsoptionen wird die optimale Lösung identifiziert. Schließlich erfolgt die Übersetzung wissenschaftlicher Lösungsvorschläge in politische Handlungsalternativen. Auf diese Weise entsteht ein fundiertes Verständnis für die Schnittstelle von Wissenschaft und Politik, dass eine informierte Entscheidungsfindung ermöglicht (ebd). Im Gegensatz zum Dezisionismus sieht das pragmatische Modell daher auch eine wissenschaftliche Diskussion politischer Wertentscheidungen vor, wobei eine vollständigere Betrachtung des politischen Prozesses möglich ist als bei dem dezisionistischen Modell. So scheint das pragmatische Modell eine relevante Alternative zu dem derzeit in Deutschland dominierendem dezisionistischen Modell darzustellen. Die Adaption des pragmatischen Modells könnte dazu beitragen, das strukturelle Problem der Politikberatung zu entschärfen.


In diesem Essay wurde die Entwicklung der Problematik in der Politikberatung anhand eines Vergleichs verschiedener Autoren analysiert. Es konnte bestätigt werden, dass die Probleme der Politikberatung, welche Thunert bereits im Jahr 2003 festgestellt hat, bis heute Aktualität haben. Die Funktionslogiken der Politik wurden in diesem Essay anhand einer Ausdifferenzierung des Politikbegriffes in die Kategorien Polity, Policy und Politics dargestellt. Die Funktionslogiken der wissenschaftlichen Politikberatung in Deutschland wurden anhand des dezisionistischen Modells analysiert. Auf Grundlage dieser Modelle konnte gezeigt werden, dass die Funktionslogiken der Politik und der wissenschaftlichen Beratung sich deutlich voneinander abgrenzen. Insbesondere die Polity- und Politics-Dimension wird im Rahmen des dezisionistischen Modells bewusst aus dem wissenschaftlichen Beratungsprozess ausgeklammert. Es wurde dargestellt, dass eine wissenschaftliche Beratung, welche sich strikt nach dem dezisionistischen Modell orientiert, nur eingeschränkt praxistauglich ist. Zielführender ist eine ganzheitliche Betrachtung der Politik unter Berücksichtigung aller Politikdimensionen. Zuletzt wurde dargestellt, dass es sich bei den von Thunert dargestellten Problemen der Politikberatung tatsächlich um Folgeprobleme handelt, welche auf Grundlage der differenzierten Funktionslogiken der Politik und der wissenschaftlichen Beratung entstehen. Insofern wurde Thunerts These bestätigt. Als eine Alternative zum dezisionistischen Modell wurde das pragmatische Modell vorgeschlagen. Das pragmatische Modell stellt in Aussicht, das in diesem Essay behandelte strukturelle Problem der Politikberatung zu entschärfen. Eine nähere Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des pragmatischen Modells wissenschaftlicher Beratung stellt ein interessantes Thema für eine zukünftige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Think Tank Sektor dar.


Jan Krapf

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