Abstract:
Diese Bachelorarbeit beleuchtet den Einfluss von Aktienleerverkäufen auf die Renditen von Aktien in Deutschland. Trotz der langen Geschichte und der kontroversen Diskussionen über Leerverkäufe bleibt das Thema im deutschen Finanzmarkt wenig erforscht. Diese Studie untersucht, ob Leerverkäufe die Aktienrenditen negativ beeinflussen, und stützt sich dabei auf eine Event-Studie, die mittels einer Paneldatenregression durchgeführt wurde. Neben einer umfassenden Literaturübersicht diskutiert die Arbeit die Hypothese, dass informierte Leerverkäufer durch ihre Aktivitäten die Preiseffizienz und Liquidität der Kapitalmärkte fördern können. Die Ergebnisse der Regressionsanalyse zeigen deutlich, dass Leerverkäufe signifikante Auswirkungen auf die Aktienrenditen haben. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung von Leerverkaufsaktivitäten. Die Arbeit liefert wertvolle Erkenntnisse über die Konsequenzen von Leerverkäufen und trägt zur aktuellen Forschung über deren Rolle auf den Finanzmärkten bei.
1 Einführung
1.1 Einleitung
Die Finanzwelt ist geprägt von komplexen Mechanismen und Instrumenten, deren Verständnis essenziell für die Funktionsweise moderner Märkte ist. Eines dieser Instrumente, das Leerverkaufen von Wertpapieren, steht im Zentrum dieser Arbeit. Trotz seiner langen Geschichte und der Tatsache, dass es bereits im 17. Jahrhundert praktiziert wurde, bleibt der Leerverkauf ein kontrovers diskutiertes Thema. Die Relevanz des Themas ergibt sich aus seiner Bedeutung für die Preisfindung und Marktliquidität sowie aus den potenziellen Risiken, die es für die Stabilität der Finanzmärkte birgt. Die vorliegende Arbeit untersucht die Auswirkungen von Leerverkäufen auf die Aktienrenditen in Deutschland, ein Thema, das in der wissenschaftlichen Gemeinschaft unterschiedlich bewertet wird und für den Finanzplatz Deutschland bisher wenig erforscht wurde. Während einige Studien einen negativen Einfluss auf die Aktienrenditen feststellen, zeigen andere keine signifikanten Auswirkungen. Diese Diskrepanz motiviert die tiefere Erforschung des Phänomens, um ein klareres Bild der Auswirkungen von Leerverkäufen zu erhalten und die Preisbildung auf den Kapitalmärkten besser zu verstehen. Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet: „Haben Leerverkäufe einen negativen Einfluss auf Aktienrenditen in Deutschland?” Um diese Frage zu beantworten, wird eine Eventstudie in Form einer Paneldatenregression durchgeführt, eine Methode, die sich durch die Fähigkeit auszeichnet, den Einfluss spezifischer Ereignisse auf den Aktienkurs zu analysieren. Die Wahl dieser Methode begründet sich in ihrer Eignung, die komplexen Wechselwirkungen zwischen Leerverkäufen und Preisbewegungen zu erfassen. Das Ziel der Arbeit ist es, ein fundiertes Verständnis der Konsequenzen von Leerverkäufen zu entwickeln und zu einer ausgewogeneren Sichtweise beizutragen, die sowohl die Vorteile als auch die Risiken berücksichtigt. Der Aufbau der Arbeit folgt einer logischen Struktur, beginnend mit einer Einführung in die Kapitalmarkttheorie, gefolgt von einer detaillierten Analyse der Leerverkaufsaktivitäten und ihrer Auswirkungen auf die Aktienrenditen. Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert und in den Kontext der aktuellen Forschung eingeordnet, um zu einer fundierten Bewertung der Rolle von Leerverkäufen auf den Finanzmärkten beizutragen.
1.2 Hintergrund
Bereits im Jahr 1609, zwei Jahre nach Gründung der ersten Wertpapierbörse in Amsterdam, gab es in den Niederlanden den ersten Leerverkauf eines Unternehmens. Isaac Le Maire, der Mitbegründer und Großaktionär der Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC), hatte nach seinem Rauswurf aus dem Unternehmen den Plan gefasst, unter französischer Krone eine neue Handelsgesellschaft für Ostindien zu gründen. Sollte dieses Vorhaben gelingen, dürfte die VOC seine marktbeherrschende Stellung verlieren und der Aktienkurs dementsprechend fallen. Da der Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt diese Pläne nicht publik waren, verkaufte er zusammen mit anderen Geschäftspartnern über seine Investmentfirma „Groote Companie“ Aktien der Niederländischen Ostindien-Kompanie, die er zu einem späteren Zeitpunkt nachkaufen würde. Befeuert durch verbreitete Gerüchte, fiel der Aktienkurs tatsächlich über 12% in dem Zeitraum 1609 bis 1610 und Le Maire konnte hohe Gewinne verbuchen. Letztlich scheiterte er mit seiner Strategie jedoch aus mehreren Gründen: Erstens wurde 1610 der französische König getötet, weshalb es nie dazu kam, eine französische Ostindien Kompanie aufzubauen. Zweitens musste er erhebliche finanzielle Verluste hinnehmen, da er seine offenen Positionen am Markt decken musste, wobei nach dem Tod des Königs die Kurse der VOC stark gestiegen waren. Und drittens zogen seine Machenschaften das erste Leerverkaufsverbot der Geschichte nach sich, da sein marktmanipulierendes Verhalten der niederländischen Regierung angezeigt wurde (Bris et al., 2007).
1.3 Capital Asset Pricing Model
Bevor es zum Hauptgegenstand dieser Arbeit -dem Leerverkauf von Wertpapieren- kommt, bietet es sich an, eine kurze Einführung in die Kapitalmarkttheorie zu geben. Eine der wichtigsten Theorien bildet dabei das von William Sharpe (1964) und John Lintner (1965) entwickelte Capital Asset Pricing Model (CAPM). Das CAPM ermöglicht es, einfache und dennoch aussagekräftige Vorhersagen über das erwartete Risiko und die entsprechende Rendite eines Wertpapieres zu treffen und gibt eine Erklärung, wie Risiko zu messen sei. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass das Risiko einer Aktie als Korrelation zur Entwicklung des Marktportfolios zu sehen ist.
Sharpe und Lintner haben mit ihrer Theorie auf der von Harry Markowitz 1959 entwickelten Portfoliotheorie aufgebaut. Diese besagt, dass das Risiko einer Anlage die Standardabweichung der erwarteten Rendite sei und Investoren bei gleichem Risiko ein Portfolio mit höchster Rendite und bei gleicher Rendite ein Portfolio mit niedrigstem Risiko bevorzugen. Aus dieser Logik folgt, dass es für jede Risikoneigung nur ein effizientes Portfolio in Form der „efficient frontier“ (Fama & French, 2004) geben kann. Bildet man das bestmöglich diversifizierte Portfolio, erhält man das Marktportfolio, welches einen Beta-Faktor von eins besitzt.
James Tobin hat daraus die sogenannte Tobin-Separation abgeleitet, welche besagt, dass die individuelle Risikoneigung eines Investors nichts mit der Zusammensetzung des risikobehafteten Teils eines Portfolios zu tun habe. Da sich auf dem Kapitalmarkt risikolos (risikolos meint hierbei beispielsweise Staatsanleihen) Geld (ver-) leihen lasse, hängt im Zuge der Portfoliogestaltung das Risiko eines Portfolios damit zusammen, welchen Anteil eines Portfolios ein Investor in das Marktportfolio und welchen Anteil er in risikolose Investments investiert, nicht jedoch mit der Zusammensetzung des Marktportfolios, da dieses gleich und somit effizient sei.
Für Fama und French resultieren im CAPM daraus erstens die Kapitalmarktlinie, also eine „Linie“ hypothetischer Portfolios abhängig von der individuellen Risikoneigung und zweitens die Wertpapierlinie, die ausgehend vom Marktportfolio mit dem Beta-Faktor eins die korrekte Bewertung eines Wertpapiers zeigt. Trotz umstrittener empirischer Evidenz ist das CAPM durch seine Simplizität in der Praxis und Lehre weit verbreitet (Fama & French, 2004) und dient weiterhin als wichtiges Instrument zur Feststellung einer „…Überbewertung (Renditeerwartung des Wertpapiers unterhalb der Wertpapierlinie) bzw. der Unterbewertung (Renditeerwartung oberhalb der Wertpapierlinie) “ eines Wertpapieres (Breuer & Breuer, 2024). Wie der Kapitalmarkt auf solch eine Überbewertung reagiert, wird im Folgenden näher erläutert.
1.4 Aktienleerverkäufe
Leerverkäufe (engl. short selling) bezeichnet eine Transaktion am Kapitalmarkt, bei der ein Investor ein Wertpapier am Aktienmarkt verkauft, dass er nicht besitzt, sondern nur von einem Broker geliehen hat und zu einem vereinbarten Zeitpunkt wieder „zurückgeben“ muss. Der Investor spekuliert darauf, dass sich der Wert des Wertpapiers bis zum Zeitpunkt der Rückgabe verringert hat. Ist dies der Fall, macht einen Profit dadurch, dass er das Wertpapier zunächst zu einem höheren Kurs verkauft als er es zum vereinbarten Zeitpunkt selbst am Markt kauft und dem Broker wieder zurückgibt. Sollte der Wert des Wertpapiers steigen, kann der Investor theoretisch einen unbegrenzten Verlust erleiden, wenn er gezwungen ist, seine Position zu decken (Heldt, 2024). Für den Broker ergibt sich der Vorteil, dass er für die Leihe des Wertpapiers eine gewisse Entlohnung vom Investor erhält. Zusätzlich schafft der Investor durch seine Transaktion Liquidität im Kapitalmarkt, was für den Broker ebenfalls vorteilhaft ist. Um sich gegen einen Bankrott des Investors abzusichern (und die verliehenen Wertpapiere gegebenenfalls nicht wieder zurückzubekommen), verlangt der Broker vom Investor die Hinterlegung von Sicherheiten in Form des Margin Accounts. Eine Sonderform des Leerverkaufen ist das „Naked shortselling“, bei welchem der Leerverkäufer das Wertpapier zum Verkaufszeitpunkt nicht geliehen hat. Zum Rückgabezeitpunkt kann eine Rückgabe unter Umständen so gar nicht möglich sein.
1.4.1 Aktivistische Leerverkäufer
Aktivistische Investoren beziehungsweise aktivistische Leerverkäufer nehmen bei Leerverkäufen eine besondere Rolle ein und werden daher an dieser Stelle gesondert erläutert. Aktivistische Investoren sind in der Regel Hedgefonds, die sich dadurch auszeichnen, dass sie aktiv in die Unternehmen eingreifen, in die sie investieren. Insbesondere bei Unternehmen, die diese für unter- oder überbewertet halten, spekulieren sie zunächst auf eine Veränderung des Aktienkurses und versuchen dann, diese tatsächlich herbeizuführen. Im Falle von unterbewerteten Unternehmen ist es eine häufige Vorgehensweise, dass zunächst eine große Aktienposition aufgebaut und anschließend Druck auf das Management aufgebaut wird, Handlungen einzuleiten, die den Börsenkurs nach oben treiben. Dies geschieht unter anderem dadurch, dass Hedgefonds Vertreter in den Aufsichts- oder Verwaltungsrat eines Unternehmens entsenden und dieser von dort aus Druck auf das Management ausübt. Ebenso werden von aktivistischen Investoren häufig Berichte, Analysen oder andere öffentlichkeitswirksame Dokumente und Interviews in Umlauf gebracht, die Druck auf das Management ausüben sollen und Forderungen wie Unternehmensabspaltungen beinhalten. Genauso wie sich aktivistische Investoren bei unterbewerten Unternehmen engagieren, gibt es zahlreiche Hedgefonds, die Investments in überbewertete Unternehmen tätigen. In solchen Fällen leerverkaufen die Fonds die Unternehmen und publizieren anschließend Berichte, wieso ein Unternehmen ihrer Meinung nach überbewertet sei. In vielen Fällen werfen die Hedgefonds den Unternehmen Betrug, Veruntreuung oder Bilanzierungsunregelmäßigkeiten vor. Insbesondere bekannten aktivistischen Leerverkäufern wie Viceroy Research, Hindenburg Research oder Muddys Water Research geht dabei schon ihr Ruf voraus, dass es sich bei einem kritisierten Unternehmen tatsächlich um einen Betrugsfall handeln könnte. Denn diese aktivistischen Shortseller sind bekannt dafür, Betrugs- und Insolvenzfälle wie Wirecard, Enron oder die Insolvenz der Adler Group früh erkannt oder aufgedeckt zu haben und somit vom Kursverlust dieser zu profitieren. Über das Verbieten solcher Handlungen und weitere regulatorische Fragestellungen rund um Aktienleerverkäufe soll es im Weiteren gehen.
2 Regulatorik von Leerverkäufen
2.1 Leerverkaufsverbote
Wie bereits eingangs erwähnt, kam es zum ersten Leerverkaufsverbot der Geschichte im Jahr 1610. Immer noch existiert eine lebhafte Diskussion, ob und warum Aktienleerverkäufe zumindest teilweise unterbunden werden sollten. Einerseits führen Befürworter von Leerverkäufen an, dass Kapitalmärkte durch Leerverkäufe effizienter und liquider würden. Insbesondere überbewertete Wertpapiere würden durch die Signalwirkung von Leerverkäufern im Preis korrigiert, wodurch sich Preisblasen und Märkte säubern ließen. Die Signalwirkung tritt dadurch ein, dass Leerverkäufer als besonders informierte Investoren gelten und ihr Verhalten als Indikator betrachtet wird (Reed, 2013). Andererseits unterbinden Finanzaufsichten immer wieder zeitweise Leerverkäufe, wenn es sich um besonders volatile oder „systemrelevante“ Wertpapiere handelt oder sich der Kapitalmarkt in einem „Bärenmarkt“ befindet. Gegner von Leerverkäufen führen an, dass sich Märkte und Wertpapierpreise so stabilisieren lassen würden. Ein interessantes Beispiel bietet das Leerverkaufsverbot, welches die Bafin am 18. Februar 2019 für den Zeitraum von zwei Monaten für die Wirecard AG verhängt hatte (BaFin, 2024). Dies wurde damit begründet, dass man aktivistische Leerverkäufer daran hindern müsste, Leerverkaufspositionen aufzubauen, „falsche“ Anschuldigen in Umlauf zu bringen und am anschließenden Kursverlust zu partizipieren.
Bevor auf die Argumente und Standpunkte der Wissenschaft in Bezug auf ein Leerverkaufsverbot eingegangen wird, soll angefangen bei den USA, der EU, China und Japan eine Übersicht der unterschiedlichen internationalen Regulatorik gegeben werden. Es ist zu beobachten, dass in den größten Volkswirtschaften weltweit die Vorschriften nach der Finanzkrise 2008 verschärft wurden, was im Einzelnen folgendermaßen gerechtfertigt wurde (Reed, 2013).
Die US-amerikanische Securities and Exchange Commission (SEC) hat mehrere Vorschriften und Regeln in Bezug auf Leerverkäufe. Erstens verlangt die SEC von Brokern, jeden Verkaufsauftrag, den sie ausführen, als „long”, „short” oder „short exempt” zu kennzeichnen. Im Weiteren sind institutionelle Anleger nach Regel 13f-2 verpflichtet, bei einer akkumulierten Leerverkaufsposition von mehr als 2,5 % des börslichen Werts, diese Position zu veröffentlichen. Außerdem kann nach der „Uptick“-Regel der Leerverkauf eines Unternehmens verboten werden, wenn der Aktienkurs eines Unternehmens während des Intraday-Handels um mindestens 10% fällt. Nach der Finanzkrise hat die SEC 2009 als weitere Maßnahme die Transaktion des „Naked Short Sales“ verboten. Bei diesem Vorgehen hat der Investor keine Ausleihe mit einem Broker vereinbart, sondern verkauft das Wertpapier „naked“ weiter. Er besitzt das entsprechende Wertpapier also eigentlich gar nicht, weswegen es dazu kommen kann, dass er dieses auch nicht seinem Käufer übergeben kann (sog. „failure to deliver“). Alle weiteren Transaktionen wie den scheinbaren oder tatsächlichen Handel mit einem Wertpapier, die dazu dienen, den Preis eines Wertpapiers zu beeinflussen, sind ebenfalls verboten (SEC, 2024).
Grundsätzlich ähnlich aber in mancher Hinsicht restriktiver gestalten sich die Regularien der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA und die der deutschen BaFin. Nach Artikel 12 ff. EU – LeerverkaufsVO sind beispielsweise ebenso das „Naked Short Selling“ für Aktien und insbesondere auch für Credit Default Swaps (CDS) untersagt. CDS, die als Mitverursacher der Globalen Finanzkrise 2008/2009 betrachtet werden (Terzia & Uluçayb, 2011), sind handelbare Versicherungen für Kreditrisiken. Genauso wie in den USA gibt es neben Restriktionen auch Transparenzregeln in Bezug auf Leerverkäufe. Artikel 5 ff. EU – LeerverkaufsVO gibt zum Beispiel vor, dass bereits bei einer akkumulierten Leerverkaufsposition von 0,1 % des ausgegebenen Aktienkapitals der BaFin davon Meldung zu machen ist. Alle Positionen, die den Wert von 0,5 % des ausgegebenen Aktienkapitals überschreiten, werden zusätzlich dauerhaft im Bundesanzeiger veröffentlicht. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um inländische oder ausländische Investoren handelt (BaFin, 2024).
In China, beziehungsweise Hong Kong, ist die Regulatorik dahingehend noch weiter verschärft. So ist es ausschließlich zulässig, Wertpapiere leer zu verkaufen, die die Hong Konger Aufsichtsbehörde ausdrücklich dafür zugelassen hat. Ebenso ist es nicht für jeden erlaubt, solch eine Transaktion durchzuführen, sondern lediglich für ausgewählte Investoren und Broker (Hong Kong Exchanges, 2024). Japan hingegen ähnelt am ehesten der europäischen Regulatorik. Auch dort müssen Leerverkaufspositionen, die 0,25% der ausstehenden Aktien ausmachen, der Japanischen Aufsichtsbehörde angezeigt werden. Auch gilt die bereits erwähnte Uptick-Regel, die bei stark volatilen Märkten einen selbstverstärkenden Abwärtstrend des Marktes verhindern soll (Japan Exchange Group, 2024).
Neben spezifischen Verboten von Leerverkäufen gilt es ebenso, die Auswirkungen von Publikationspflichten von Leerverkaufspositionen auf den Kapitalmarkt zu betrachten. So gibt es in Deutschland die Auflage, dass alle Leerverkaufspositionen der BaFin angezeigt werden müssen und alle Positionen, die akkumuliert über 0,5 % des ausgegebenen Aktienkapitals eines Unternehmens ausmachen, im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Das Commitee of Capital Market Regulation äußerte in einem Working Paper (2022) Bedenken gegen die Annahme, dass Publikationspflichten die Markteffizienz und Preisqualität verbessern würden, und sprach sich gegen solche Auflagen aus. Erstens wurde beobachtet, dass Leerverkäufer es meiden, länderspezifische Schwellen für Veröffentlichungen zu überschreiten. Zweitens verfügen diese Leerverkäufer über bessere fundamentale Analysen von Wertpapieren, die sie jedoch nicht öffentlich preisgeben möchten. Drittens argumentiert das Commitee, dass Leerverkäufer, die aufwendige fundamentale Analysen durchführen, durch Publikationspflichten nicht mehr von Kurskorrekturen profitieren und somit nicht mehr incentiviert seien, diese durchzuführen. Der Wegfall solcher hochwertigen Analysen könnte zu einer Verschlechterung der Markteffizienz führen. Daher betrachtet das Commitee ein Verbot von Leerverkäufen sowie Publikationspflichten als potenzielle Ursachen für eine qualitative Verschlechterung des Kapitalmarkts.
2.2 Pro & Contra Leerverkaufsverbote
Betrachtet man das Für und Wider, wenn es um Restriktionen für Leerverkäufe geht, sollte man sich mit der Markteffizienzhypothese des Nobelpreisträgers Eugene F. Fama auseinandersetzen. In dieser 1970 entwickelten These, vertritt er die Meinung, dass ein Aktienmarkt effizient sei, wenn dieser alle relevanten und neuen Informationen unverzüglich in die Bewertung von Aktien mit aufnähme. Sollte es einen „effizienten“ Aktienmarkt geben, wäre es nicht möglich, „den Markt zu schlagen“, da kein Wertpapier unter- oder überbewertet sei. Doch, so beschreibt es Malkiel (1989), handelten Investoren nicht ausschließlich rational und es würden sich auch nicht alle spezifischen und relevanten Informationen in der Bewertung eines Wertpapiers widerspiegeln. In der Praxis sei der Kapitalmarkt sehr, aber nicht vollständig effizient, weswegen es zu Unter- und Überbewertungen kommen könnte. Die starke Variabilität und Volatilität, die Aktienpreise haben, ließe sich nicht durch die Markteffizienzhypothese erklären. In der Erklärung, wie Aktienpreise zustande kommen, müssten ebenso psychologische und Aspekte der „behavioral finance“ mit einbezogen werden (Malkiel, 1989). Wie nun erläutert, kommt es am Kapitalmarkt zu bestimmten Anomalien bzw. Über- und Unterbewertungen. Um diese auszunutzen, aber auch aus anderen Motiven (wie beispielsweise der kurzfristigen Absicherung gegen Kursverluste), die im Weiteren noch näher betrachtet werden, kommt es zu Leerverkäufen.
2.2.1 Contra Leerverkaufsverbote
Die Befürworter liberaler Leerverkaufsgesetze sehen in Leerverkäufen eine Möglichkeit, die Preiseffizienz, Liquidität und Unternehmensführung auf den Kapitalmärkten zu verbessern. Gerne wird eine Analogie zu Wahlen gezogen, bei welchen einerseits mit „Ja“ aber genauso mit „Nein“ abgestimmt werden darf. Sollte das „Nein“ durch Leerverkaufsverbote an Kapitalmärkten nicht möglich sein, würden Informationen und Meinungen nicht mehr in die Preisbildung miteinfließen, wodurch der Kapitalmarkt ineffizienter würde (Diamond & Verrecchia, 1987). Leerverkäufer gelten als rationale, bestens informierte Marktteilnehmer, die aufgrund ihres Wissens falsch bepreiste Aktien näher an ihren fundamentalen Wert bringen (Diamond & Verrecchia, 1987). Unter anderem haben Boehmer und Wu (2013) feststellen können, dass sich öffentlich verfügbare Daten doppelt so schnell in den Preisen von Aktien widerspiegeln, die von Investoren leerverkauft wurden. Boehmer und Wu (2013) fanden beispielsweise heraus, dass öffentlich verfügbare Informationen („publicly available information“) sich bei Aktien, die von Investoren leerverkauft wurden, doppelt so schnell in den Preisen widerspiegeln.
Als weiterer Vorteil gilt die erhöhte Liquidität, die durch Leerverkäufe erzeugt wird. Liquidität auf Kapitalmärkten meint die Möglichkeit, dass es genügend Käufer und Verkäufer von Wertpapieren gibt, so dass diese Handel treiben können. Genau das sei eine positive Auswirkung von Leerverkäufern, da diese im ersten Schritt ein Wertpapier verkaufen, um es im nächsten wieder zu kaufen. Erhöhte Liquidität führe ebenfalls zur stabileren Preisbildung und geringerer Volatilität. Dies ergibt sich dadurch, dass das erhöhte Handelsvolumen der Leerverkäufern dafür sorgt, dass sich Angebot und Nachfrage schneller ihrem Gleichgewicht nähern. Die verbesserte Liquidität helfe dem Handel und der Funktionalität von Börsen und Kapitalmärkten. (Hatcher, 2020)
Auch ließen sich positive Effekte bei der Governance von Unternehmen feststellen. Leerverkäufe können als externe Kontrolle des Managements eines Unternehmens dienen. Denn Leerverkäufer sind motiviert, jedes Fehlverhalten des Managements aufzudecken und auf der Grundlage dieser Informationen zu handeln. Dies könnte potenziell die Geschwindigkeit und Wahrscheinlichkeit erhöhen, jegliches Fehlverhalten von Unternehmen zu entdecken. Als Ergebnis gibt es weniger Anreiz für das Management, sich an solchem Fehlverhalten zu beteiligen, was zu einer verbesserten Unternehmensführung führen könne. Dies unterstreiche die Rolle von Leerverkäufen bei der Aufrechterhaltung der Marktintegrität und Transparenz wie Beber und Pagano (2011) zeigten.
2.2.2 Pro Leerverkaufsverbote
Gegner von Leerverkäufen sehen die zwei großen Risiken der Spekulation und des Moments beziehungsweise der Verbreitung von Panik, denen durch Regularien entgegenzuwirken sei. Dass sich Investoren „verzocken“, der Staat diesen finanziell beistehen muss und eine Kettenreaktion entstehen kann, ist ein Aspekt des Risikos der Spekulation. Automatisch ergibt sich allerdings noch ein sehr viel naheliegendes Problem, das des „short-squeezes“. Guimaraes und Pannella (2021) zeigen am Beispiel der Gamestop Aktie, was passieren kann, wenn eine große Anzahl an Leerverkäufern auf das Fallen einer Aktie spekulierten und diese entgegen der Erwartung steigt. In diesem Fall sind die Leerverkäufer gezwungen, ihre Position aufzulösen und die Aktie zu kaufen, was den Kurs noch weiter steigen lässt. Guimaraes und Pannella (2021) zeigen, dass dieser Zyklus zu einer Blase führen kann, die auf Spekulation beruht. Leerverkäufe würden in solchen Fällen zu weniger, anstatt zu mehr Markteffizienz führen. Sie plädieren für eine Regulierung durch den Staat.
Die positive Signalwirkung, die einige den Leerverkäufern attestieren, könnte sich ebenso ins Negative drehen. Der Leerverkauf von Wertpapieren, der von Investoren praktiziert wird, kann in manchen Fällen zu einer sich weiterverbreitenden Angst unter Investoren führen, die das Marktgeschehen beobachten (Boulton & Braga-Alves, 2020). Diese Angst kann zu unangemessenen Anlageentscheidungen führen, da Investoren irrational handeln und versuchen, ihre Investitionen vor stärkeren Kursrückgängen zu schützen. Diese panikartigen Verkäufe erzeugen ihrerseits wiederum Vertrauensrückgänge und Panik. Solche Kettenreaktionen auf den Finanzmärkten hindern nicht nur die Preisbildung, sie können das ganze System aus dem Gleichgewicht bringen. In dieser Hinsicht gilt es auch Aspekte der „behavioral finance“ zu beachten und die Irrationalität des Menschen in Betracht zu ziehen.
Ein abschließendes Fazit bezüglich der Frage, ob und wie Leerverkäufe durch Finanzaufsichten reguliert werden sollten, lässt sich an dieser Stelle nicht ziehen. Der Bundesverband Alternative Investments e.V. fasst es in einer Infobroschüre (2020) folgendermaßen zusammen: „Leerverkäufer sind keine Brandstifter, sondern vielmehr Feuermelder, die [eine wichtige Signalwirkung haben,] und für eine effiziente Preisfindung bei Wertpapieren sorgen.“.
3 Forschungsfrage
Die Forschungsfrage der Arbeit wird aus der Diskrepanz zwischen verschiedenen Studien und der geringen Erforschung des Einflusses von Leerverkäufen auf Aktienrenditen in Deutschland hergeleitet. Während einige Studien einen negativen Einfluss auf die Aktienrenditen feststellen, zeigen andere keine signifikanten Auswirkungen. Diese unterschiedlichen Bewertungen motivieren eine tiefere Erforschung des Phänomens, um ein klareres Bild der Auswirkungen von Leerverkäufen zu erhalten und die Preisbildung auf den Kapitalmärkten besser zu verstehen. Die zentrale Forschungsfrage lautet daher:
Haben Leerverkäufe einen negativen Einfluss auf Aktienrenditen in Deutschland?
Um diese Frage zu beantworten, findet sich im Folgenden zunächst eine Übersicht der aktuellen Studien- und Forschungsergebnisse zu dieser Fragestellung. Darauf aufbauend wird im empirischen Teil der Arbeit anhand einer Eventstudie der Einfluss von Leerverkäufen auf Aktienrenditen in Deutschland spezifischer untersucht.
4 Literaturübersicht und Hypothese
Im Weiteren wird eine Übersicht der aktuellen Literatur über Leerverkäufe gegeben, sowie die Herleitung der Forschungshypothese diskutiert. Wie teilweise bereits erwähnt, sind Leerverkäufe vielfach diskutiert, erforscht und untersucht worden. Gegenstand der Forschung sind unter anderem die Auswirkungen von Leerverkaufsverboten, Publikationspflichten und Regularien (exemplarisch: Beber & Pagano, 2011; Guimaraes & Pannella, 2021). Ebenso haben sich zahlreiche Autoren der Frage gewidmet, ob und wie Leerverkäufe die Preisfindung oder Preiseffizienz beeinflussen (beispielsweise: Boehmer & Wu, 2013; Hatcher, 2020). Eine andere Fragestellung, welche im wissenschaftlichen Diskurs vielfach diskutiert und erforscht wurde und auch Gegenstand dieser Arbeit ist, ist die Frage, wie sich Leerverkäufe auf Aktienrenditen auswirken. Auch wenn sich aus den Studien kein eindeutiges Bild abzeichnen lässt, da entweder ein positiver, negativer oder gar kein Zusammenhang gefunden wurde, bietet es sich an, einen Auszug der Forschungsergebnisse zu präsentieren.
4.1 Informiertes Leerverkaufen
Leerverkäufe dienen Investoren als Funktion für verschiedene Handelsstrategien, wobei die Motivation für Leerverkäufe sehr unterschiedlich sein kann. Man unterscheidet insbesondere zwischen dem sogenannten informierten und dem uninformierten Leerverkauf. Die Definitionen „informiert“ und „uninformiert“ mögen in diesem Zusammenhang missverständlich sein, meinen aber lediglich, dass ein Investor „informiert“ ist und daher von sinkenden Kursen ausgeht oder „uniformiert“ ist und aus anderen Gründen ein Wertpapier leerverkauft. Zahlreiche Forscher gehen davon aus, dass Leerverkäufer informiert seien und Wertpapiere leerverkaufen, von denen sie annehmen, diese seien überbewertet.
Diamond und Verrecchia (1987) unterstützen in ihrer Studie die Hypothese, dass Leerverkäufe informiert seien. Sie gehen davon aus, dass informierte Leerverkäufer über Informationen verfügen, die nicht allen Investoren verfügbar seien. Die Folge von gesteigerten Leerverkäufen nehme der Kapitalmarkt als Indiz, dass sich nicht alle relevanten Informationen im Preis der Aktie widerspiegeln würden und diese überbewertet sei, woraufhin sich der Preis der Aktie tatsächlich nach unten korrigierte. Außerdem spreche für die These, dass Leerverkäufer über preisrelevante Informationen verfügen, die Tatsache, dass Leerverkäufer die teils hohen Transaktionsaktionskosten ihrer Leerverkäufe tragen. In einer von Senchack und Starks (1987) in den USA durchgeführten Studie ließ sich diese These empirisch beweisen. Die Autoren konnten einen Zusammenhang zwischen Leerverkäufen und negativen Aktienrenditen feststellen. Sie konnten feststellen, dass sich Kurse leerverkaufter Unternehmen tatsächlich negativ entwickelten und demnach davon auszugehen ist, dass diese vor dem Leerverkauf überbewertet gewesen sind. Zudem zeigte sich, dass der Zusammenhang stärker ist, wenn die Leerverkäufe einer Aktie unerwartet seien. Ein aktuelles Beispiel, welches die Autoren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht hatten, könnte die Aktie der Wirecard AG darstellen. Zahlreiche Leerverkäufer übten im Vorfeld des endgültigen Zusammenbruchs der Wirecard AG Zweifel am Unternehmen, welche sich als wahr herausstellten. Die Studie von Senchack und Starks (1987) unterstützt die These, dass in manchen Fällen eine Informationsasymmetrie zwischen „long-“ und „short sellern“ von Aktien besteht (Senchack & Starks, 1987).
Andere Studien wie die von Figlewski und Webb (1993) konnten ebenfalls feststellen, dass Leerverkäufe einen negativen Einfluss auf die Rendite von Wertpapieren haben. In ihrer in den USA aufgestellten Studie stellte sich die Korrelation zwischen Leerverkaufspositionen und negativer abnormaler Rendite von Wertpapieren als statistisch signifikant heraus. Aber auch in anderen Kapitalmärkten wie in Australien ließ sich diese Hypothese bestätigen. Die von Aitken et al. (1998) betitelte Studie „short sales are almost instantaneously bad news” konnte ebenfalls eine negative abnormale Rendite leerverkaufter Aktien feststellen. Die Autoren dieser Studie sehen Beweise dafür, dass Investoren die Aktien leerverkaufen, informierte Leerverkäufer seien.
Weitere Studien, die Leerverkäufer als rationale und Profit suchende Investoren betrachten, die aufgrund ihrer Informationen handelten, gehen der Frage nach, welche Unternehmen Ziel der Leerverkäufer sind. Es konnte festgestellt werden, dass Investoren besonders Unternehmen leerverkaufen, die eine niedrige erwartete Aktienrendite und damit ein niedriges Kurs-Gewinn Verhältnis (KGV) haben. Das KGV zeigt auf, in welchem Verhältnis der Kurs einer Aktie zu deren Rendite steht und dient als verbreiteter Bewertungsmaßstab. Außerdem würden vermehrt Unternehmen leerverkauft, bei denen die Leerverkäufe niedrigere Transaktionskosten mit sich bringen (Dechow et al., 2001). Eine andere Studie, die Leerverkaufspositionen und eine abnormale Rendite an der Technologiebörse Nasdaq betrachtet hat, konnte ebenfalls einen signifikanten Zusammenhang feststellen. Die beobachtete negative monatliche abnormale Rendite lag bei -0,76% bis zu -1,13% und war stärker, je größer die Leerverkaufspositionen für eine bestimmte Aktie waren. Anders als in der Studie von Aitken et al. (1998) hatten die Leerverkaufspositionen keine sofortige Signalwirkung, sondern spiegelten sich erst über die Zeit in den Preisen wider (Desai et al., 2002), wobei Leerverkaufspositionen in Australien auch sofort transparent gemacht werden, was eine Erklärung sein könnte.
Allerdings kamen nicht alle Forscher hinsichtlich dieser Fragestellung in ihren Studien zu diesen Ergebnissen. Eine 1990 durchgeführte Studie an der New York Stock Exchange konnte beispielsweise keinen negativen Zusammenhang zwischen Leerverkäufen und Aktienrenditen finden. Zwar ließe sich ein Zusammenhang zwischen einem höheren Beta einer Aktie und höheren Leerverkaufspositionen feststellen, aber zumindest kurzfristig ließen vermehrte Leerverkäufe keine Rückschlüsse auf Kursbewegungen zu (Brent et al., 1990). Ebenso konnte in einer 1994 aufgestellten
Studie an keinem der Handelsplätze (NYSE und OTC) eine signifikante Beziehung zwischen der abnormalen Rendite und Leerverkaufsposition gefunden werden. Die Autoren Woolridge und Dickinson (1994) sehen keine Beweise dafür, dass informierte Leerverkäufer Profite zu Gunsten weniger informierter Marktteilnehmer machen würden. Insofern folgt, dass es auch noch andere Motive für Wertpapierleerverkäufe geben muss.
4.2 Uninformiertes Leerverkaufen
Konträr zu den beschriebenen Positionen und Studien, dass Leerverkäufe „informiert“ seien, gibt es die Theorie, dass Leerverkäufe „uninformiert“ seien. Der Investor trifft seine Entscheidung unabhängig von jeglichen Informationen oder der Annahme, dass ein Wertpapier überbewertet sei. Er nimmt eine Leerverkaufsposition aus anderen Gründen ein als der, von einer möglichen Kurskorrektur zu profitieren. Verschiedene weitere Motive, die in der Literatur diskutiert werden, werden im Weiteren beschrieben. Die drei häufigsten alternativen Erklärungen für die Nutzung von Leerverkäufen ist die Portfoliogestaltung und das Hedging von Positionen, der Handel mit Optionen oder Arbitragegeschäften sowie aus steuerlichen Gründen.
Hedging bedeutet, eine bestimmte Position gegen eine gegenläufige Entwicklung abzusichern, indem man beispielsweise sowohl „long“ als auch „short“ geht. In solch einem Fall geht man davon aus, dass eine Aktie steigt und kauft diese oder eine Option auf diese (sog. long Position) und möchte gleichzeitig seine Verluste für den Fall, dass die Aktie wider Erwarten sinkt, eingrenzen. Um das zu tun, kauft man zusätzlich eine Leerverkaufsoption, welche bei fallenden Kursen eine Rendite abwerfen würde. Durch diese Strategie verringert man seinen potenziellen Gewinn, da eine der beiden Positionen an Wert verliert, verringert aber ebenso sein Risiko, da eine die beiden Positionen von einer Kursveränderung profitieren würde. Aitken et al. (1998) sehen neben informierten Leerverkäufen Hedging als eine der Gründe für Leerverkäufe. Im Datensatz des Bundesanzeigers, die Leerverkaufsaktivitäten einzelner Investoren zeigt, ist ebenfalls zu sehen, dass ein signifikanter Teil der Leerverkäufer Asset Manager und Pensionskassen sind, bei denen davon auszugehen ist, dass diese nicht (zumindest nicht ausschließlich) Leerverkaufspositionen eingehen, weil sie auf fallende Kurse spekulieren.
Ein weiterer Grund für Nutzung von Leerverkäufen, ohne dass diese „informiert“ wären, ist der Handel von Optionen auf Aktien. Eine These, die Diamond und Verrecchia (1987) vertreten, ist die, dass Optionen auf Aktien die Kosten von Leerverkäufen deutlich reduzieren, was dazu führt, dass sich private Informationen wesentlich schneller in Bewertungen widerspiegeln. So würde die Signalwirkung und der Informationsgehalt von Leerverkaufspositionen abnehmen beziehungsweise unerheblich werden. Figlewski und Webb (1993) konnten diese These mit drei Beobachtungenstützen. Erstens konnten sie feststellen, dass signifikant mehr Leerverkäufe in Unternehmen getätigt werden, bei denen Optionen verfügbar waren. Sie vermuten, dass besonders „market maker“ ihre Position nutzen, um kostengünstig durch Leerverkäufe ausgegebene Optionen zu „hedgen“. Zweitens ließe sich beobachten, dass erhöhte Leerverkaufspositionen mit höheren „put“ Optionspreisen und niedrigeren „call“ Optionspreisen einhergingen. Dies spreche dafür, dass Märkte und Händler Optionen bereits „richtig“ bepreist haben (ohne die Signalwirkung der Leerverkäufe). Drittens konnten sie nachweisen, dass negative abnormale Renditen von Aktien, die leerverkauft wurden, größer waren, wenn für diese Aktien keine Optionen gehandelt wurden. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass Leerverkäufe von Aktien, bei denen Optionen gehandelt werden, nicht informiert seien. Eine weitere Erklärung, warum Leerverkäufe nicht informiert sein müssen, sind Arbitragegeschäfte. Brent et al. (1990) führen beispielsweise an, dass ein Großteil des Handels mit Leerverkaufspositionen durch Investoren geschehe, die Arbitrageschäfte betreiben. Für diese sei der fundamentale Wert des darunterliegenden Wertpapiers eher uninteressant und ihr Interesse sei es, Preisineffizienzen durch Arbitragegeschäfte auszunutzen.
Ein anderes Argument dafür, dass Leerverkäufe uniformiert sind, bilden steuerliche Aspekte. Der Begriff „Shorting against the box“ meint hierbei das Halten einer „long“ und „short“ Position desselben Wertpapiers am Ende eines Finanzjahres. Investoren können sich durch diese Strategie gegen Kursschwankungen und Volatilität absichern (hedgen) und alle Steuerverpflichtungen, die sich durch das Halten oder Auflösen der long Position ergeben, ins nächste Steuerjahr mitnehmen. Brent et al. (1990) konnten dahingehend nachweisen, dass das Leerverkaufsvolumen am Ende eines Finanzjahres signifikant zunimmt, was für die These spricht, dass Leerverkäufe aus steuerlichen Gründen getätigt werden.
4.3 Hypothese
Wie in der Literaturübersicht dargestellt, gliedert sich die wissenschaftliche Diskussion in die Lager derer, die glauben Leerverkäufer seien informiert und der Kapitalmarkt reagiere mit einer Preisreaktion und derer, die andere Motive für Leerverkäufe sehen.
Obwohl sich kein eindeutiges Bild für den deutschen Kapitalmarkt erstellen lässt, erscheint es sinnvoll, den Studien aus zahlreichen anderen Ländern zu folgen und die Annahme zu treffen, dass Leerverkäufe einen negativen Einfluss auf die Aktienrendite in Deutschland haben könnten. Aus diesem Grund gilt es herauszufinden, ob folgende Hypothese abzulehnen oder ihr zuzustimmen ist:
H1: Leerverkäufe haben einen negativen Einfluss auf Aktienrenditen in Deutschland
5 Methodik & Daten
Im Weiteren soll erläutert werden, mit welchem Modell die zuvor erwähnte Hypothese untersucht wird. Darüber hinaus wird eine ausführliche Erklärung der Variablen und Berechnungen, die in der Analyse verwendet wurden, bereitgestellt. Außerdem erfolgt eine Beschreibung des Datensatzes und der Datenerhebung, die genutzt wurden, um die Forschungsfrage zu beantworten.
5.1 Forschungsmethode
Zur Untersuchung der erwähnten Fragestellung wird eine Eventstudie durchgeführt. Eine Eventstudie ist eine quantitative Analysemethode, die darauf abzielt, den Einfluss spezifischer Ereignisse wie Leerverkaufspositionen (und anderer Variablen) auf den Aktienkurs zu untersuchen. Die Durchführung einer Eventstudie umfasst mehrere Schritte, darunter die Definition des Ereignisses, die Festlegung von Auswahlkriterien für die Studienpopulation, die Messung der normalen und abnormalen Renditen sowie die Verwendung geeigneter Schätz- und Testverfahren, gefolgt von der anschließenden Interpretation der empirischen Ergebnisse.
In dieser spezifischen Anwendung wird eine Regressionsanalyse für die Eventstudie genutzt, um die Auswirkungen von Leerverkaufspositionen auf den Aktienkurs zu untersuchen und potenzielle Zusammenhänge zwischen den Ereignissen und den beobachteten Kursbewegungen zu ermitteln. Die grundlegende Hypothese hierbei ist, dass Leerverkäufer informiert sind und der Aktienmarkt den Leerverkauf als negative Information in die Bewertung einer Aktie einbezieht. Es wird angenommen, dass Leerverkäufe im Zusammenhang mit negativen Aktienrenditen stehen. Dies soll durch die folgende Eventstudie untersucht werden.
5.1.1 Event Intervalle für abnormale Renditen
Besondere Relevanz zur Beantwortung der Forschungsfrage, ob Leerverkäufe in Verbindung zur abnormalen Rendite einer Aktie stehen, kommt dem Zeitpunkt zu, an dem dieser Einfluss gemessen werden soll. Um diesen Zusammenhang bestmöglich erforschen zu können, wurden sechs verschiedene Zeiträume um den Zeitpunkt des Leerverkaufs analysiert und zur Berechnung der abnormalen Rendite genutzt. Die Zeiträume erstreckten sich jeweils über einen, drei und zehn Tage.
Als erster Berechnungszeitraum wurde, der von Christophe, Ferri und Hsieh (2010) ebenfalls genutzte, Zeitraum von null (0) bis einen (1) Tag nach Veröffentlichung angewendet. Da die Leerverkaufspositionen vom Vortag immer erst am nächsten Handelstag veröffentlicht werden, ist dies die Zeitspanne, die die ersten Kursreaktionen des Kapitalmarkts abbildet. Da jedoch davon auszugehen ist, dass sich Informationen über Leerverkäufe womöglich erst zu einem späteren Zeitpunkt im Aktienkurs widerspiegeln könnten, wurde das Forschungsmodell auch auf längere Event Intervalle angewendet. Diese längeren Beobachtungsperioden bestehen aus den Zeitspannen null (0) und drei (3) Tage, sowie eine längere Periode von null (0) bis zehn (10) Tage nach Veröffentlichung. Die Zeitperioden scheinen zur Beantwortung der Forschungsfrage sinnvoll zu sein und ähneln denen anderer Studien (Senchack & Starks, 1993; Aitken et al., 1998).
Zusätzlich wurden drei Zeitspannen analysiert, die Zeitpunkte vor der eigentlichen Veröffentlichung einer Leerverkaufsposition, umfassten. Dies könnte insofern relevant sein, als dass bereits in einigen Studien bewiesen wurde, dass Informationen am Kapitalmarkt sehr effizient und außerhalb öffentlicher Kanäle weitergegeben werden (Christophe et. al., 2010; Boehmer & Wu, 2013). Dies legt die Vermutung nahe, dass sich das Wissen über eine Leerverkaufsposition bereits vor deren Veröffentlichung im Wert der Aktie widerspiegelt. Das „durchsickern“ von Informationen soll durch die Zeiträume (-1,1), (-3,3) und (-10,10) berücksichtigt werden.
5.2 Variablen
5.2.1 Abhängige Variablen
Als abhängige Variable dieses Modells wird die kumulative abnormale Rendite einer Aktie in Prozent genutzt, welche für jedes der zuvor beschriebenen Intervalle berechnet wurde. Die abnormale Rendite einer Aktie ist die Differenz der erwarteten und realisierten Rendite für einen bestimmten Zeitraum. Man berechnet also, welche Rendite eine Aktie ohne das untersuchte Ereignis gehabt hätte und welche Rendite mit dem Ereignis in der Realität zu beobachten ist.
Zur Schätzung der erwarteten Rendite stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung. Diese richten sich danach, über welche Dauer das Event untersucht werden soll, und unterscheiden sich in ihrer Berechnung zwischen statistischen und Marktmodellen. Zur Berechnung der abnormalen Renditen im Zuge dieser Arbeit wurde ein statistisches Modell in Form des Constant-Mean-Return Model (CMRM) verwendet. Die erwartete Rendite einer Aktie wurde als Durchschnittsrendite der vergangenen 30 Handelstage errechnet. Im Zuge weiterer Studien könnte es relevant sein, statt eines statistischen Modells ein Marktmodell (beispielsweise in Form des CAPM) zur Berechnung der erwarteten Rendite zu nutzen. Da häufig kein relevanter Unterschied zwischen der erwarteten Rendite von statistischen und Marktmodellen festzustellen ist (Mckenzie et. al., 2004), wurde aus Gründen der Umfangsbeschränkung lediglich das CMRM angewendet.
Die abnormale Rendite ergibt sich als Differenz aus der beobachteten und erwarteten Rendite. Die kumulative abnormale Rendite wurde dann jeweils als Summe dieser abnormalen Renditen um den Eventzeitpunkt gebildet. Die Berechnung der kumulativen abnormalen Rendite (CAR) einer Aktie zum Zeitpunkt einer Leerverkaufsposition wurde so für jedes Eventintervall (0,1; 03; 0,10 und -1,1; -3;3, -10,10) berechnet. Die kumulative abnormale Rendite (CAR) einer Aktie bildete damit die abhängige Variable dieses Modells.
5.2.2 Unabhängige Variablen
Um zu untersuchen, ob Leerverkäufe einen negativen Einfluss auf Aktienrenditen haben, wurden mehrere unabhängige Variablen genutzt. Damit soll überprüft werden, ob und welchen Einfluss die unabhängigen Variablen auf die abhängige (abnormale Rendite) haben und ob diese im Zusammenhang stehen. Als unabhängige Variablen werden in diesem Fall folgende untersucht: Erstens die Leerverkaufspositionen in Prozent, zweitens die Dummy Variable, ob es mehrere Leerverkaufspositionen am selben Tag gab (1 oder 0), drittens die Anzahl der Leerverkaufspositionen am selben Tag, viertens die prozentuale Veränderung der Leerverkaufspositionen, fünftens die kategoriale Variable, ob die Leerverkaufsposition von einem aktivistischen Investor getätigt wurde (1 oder 0), sechstens die kategoriale Variable, ob die Leerverkaufsposition von einem aktivistischen Shortseller getätigt wurde (1 oder 0), siebtens die kategoriale Variable, ob eine Veröffentlichung über das Unternehmen von einem aktivistischen Shortseller getätigt wurde (1 oder 0) und falls ja, achtens die kategoriale Variable, welchen Inhalt diese Veröffentlichung hatte (General, Fraud, Accounting, Governance oder Response).
Leerverkaufsposition
Bei den Leerverkaufspositionen handelt es sich um eine kontinuierliche Variable, die einen Wert zwischen 0% bis 100% einnehmen kann. Der Prozentsatz bemisst sich daran, wie viele aller ausgegebenen Aktien ein Investor leerverkauft und berechnet sich für jeden Leerverkauf einzeln. Hat ein Unternehmen beispielsweise 1.000.000 Aktien ausgegeben und verkauft ein Investor 100.000 leer, ergibt sich eine Position von 10%. Der Marktwert dieser Position berechnet sich am aktuellen Börsenkurs, ist für die Berechnung des Prozentsatzes jedoch unerheblich.
Binäre Dummy Variable: Mehrere Leerverkaufspositionen
Da sich zeigte, dass in vielen Fällen mehrere Hedgefonds gleichzeitig dasselbe Unternehmen am selben Datum leerverkaufen, gibt es mehrere Einträge für dasselbe Datum und Unternehmen. Außerdem soll berücksichtigt werden, dass in längeren Event Intervallen (wie 0,3; 0,10 und -3,3; 10,10) durchaus mehrere Leerverkaufspositionen für dasselbe Unternehmen bestanden haben. Da sich dies in einem Modell nur schwer abbilden lässt, wurde folgendes Verfahren gewählt: Einerseits wird für die Variable Leerverkaufsposition in Prozent die täglich größte Leerverkaufsposition in der Berechnung berücksichtigt. Andererseits wird eine Dummy Variable gebildet, die diese Beobachtung berücksichtigen soll. Die Dummy Variable nimmt jeweils den Wert 0 für einen oder keinen Leerverkauf und den Wert 1 für mehrere Leerverkäufe am selben Datum an.
Anzahl Leerverkäufe zum selben Datum
Außerdem soll diese Beobachtung durch die Variable „Anzahl“ berücksichtigt werden. Denn es ist anzunehmen, dass neben der Information, welcher Investor zu wie viel Prozent eine Aktieleerverkauft hat, ebenso relevant sein könnte, ob mehrere Investoren am selben Tag eine Leerverkaufsposition eröffnet haben. Daher wurde die Anzahl der Investoren als weitere unabhängige Variable untersucht.
Prozentuale Veränderung der Leerverkaufspositionen
Als nächste unabhängige Variable wird die prozentuale Veränderung der Leerverkaufspositionen betrachtet. Diese wurde jeweils nur berechnet, wenn für dasselbe Unternehmen Leerverkaufspositionen über mindestens zwei aufeinanderfolgende Tage hinweg gebildet wurden. Würde man die Veränderung für jeden Leerverkauf errechnen, würde die Aussagekraft der Variablen verzerrt werden, da sich immer zunächst eine hundertprozentige Steigerung, gefolgt von einer hundertprozentigen Abnahme, beobachten ließe. Die Variable könnte Aufschluss darüber geben, ob eine bereits bestehende Leerverkaufsposition weitere hervorruft oder Einfluss auf die abnormale Rendite einer Aktie hat.
Aktivistischer Investor
Gegenstand der Arbeit ist es, zu untersuchen, ob es sich bei Leerverkäufern um informierte oder uninformierte Investoren handelt. Im Falle von aktivistischen Investoren ist es als wahrscheinlich anzusehen, dass diese informiert sind. Einerseits erörtern aktivistische Investoren in der Regel, welche Aktien sie aus welchen Gründen für über- oder unterbewertet halten und andererseits mischen sie sich aktiv in Unternehmen ein oder ergreifen andere Maßnahmen, um eine ihrer Ansicht nach „korrekte“ Bewertung hervorzurufen. Aus diesem Grund liegt die Vermutung nahe, dass der Kapitalmarkt auf die Leerverkaufsposition eines aktivistischen Investors anders reagiert als auf die anderer Investoren. Aus diesem Grund wurden die im Sample enthaltenen Investoren, den Kategorien „normal“ und „aktivistisch“ zugeordnet. Die Einordnung erfolgte nach verschiedenen Kriterien wie zum Beispiel, ob sich die Investoren selbst als aktivistisch beschrieben. Ebenso wurden weitere Klassifizierungen genutzt, wie die von Brendel und Ryans in ihrer Publikation „Responding to Activist Short Sellers: Allegations, Firm Responses, and Outcomes“ (2021). Darüber hinaus wurde die weitere Unterscheidung vorgenommen, ob es sich bei einem Leerverkäufer um einen aktivistischen Investor oder um einen aktivistischen Shortseller handelt. Aktivistische Investoren wie beispielsweise Paul Elliott sind für ihre Einflussnahme bekannt, engagieren sich allerdings meist bei unter- und nicht bei überbewerteten Firmen. Aktivistische Shortseller hingegen wie beispielsweise Muddy Waters Capital LLC eröffnen erst eine Leerverkaufsposition und veröffentlichen anschließend belastendes Material über ein Unternehmen, wodurch der Aktienkurs meist stark fällt. Es ist zu vermuten, dass der Kapitalmarkt die Leerverkaufsposition eines aktivistischen Investors und insbesondere eines aktivistischen Shortsellers als Signal aufnimmt. Um dies im Modell zu berücksichtigen, wird für die Leerverkaufsposition eines aktivistischen Investors eine kategoriale Variable von jeweils eine 1 beziehungsweise 0 vergeben.
Aktivistischer Shortseller
Um zu untersuchen, ob das Engagement eines aktivistischen Shortsellers womöglich einen anderen oder stärkeren Einfluss auf die abnormale Rendite einer Aktie hat, wird dafür eine weitere Variable verwendet. Es wurde die Annahme getroffen, dass alle aktivistischen Shortseller auch aktivistische Investoren sind, nicht jedoch umgekehrt. Als aktivistischer Shortseller werden alle Investoren im Sample klassifiziert, die entweder belastende Untersuchungen über Unternehmen veröffentlicht oder öffentliche Anschuldigungen gegenüber diesen getätigt haben. Aktivistische Shortseller wurden als solche klassifiziert, wenn sie in der Vergangenheit durch das typische Vorgehen eines aktivistischen Shortsellers aufgefallen sind, dafür musste nicht bei jedem Leerverkauf eine kritische Veröffentlichung erfolgen. Auch in diesem Fall wurde eine kategoriale Variable in Form einer 1 oder 0 genutzt. Eine Übersicht der im Sample enthaltenen aktivistischen Investoren und Shortseller ist in Abbildung 1 zu finden.
Veröffentlichung eines aktivistischen Shortsellers
Wie bereits erwähnt, erfolgen Leerverkäufe eines aktivistischen Shortsellers häufig in Verbindung mit einem investigativen Bericht, in welchem dem Unternehmen Betrug, grobes Verschulden, Bilanzfälschung oder andere Arten von Vorwürfen gemacht werden. Diese haben in Regel eine hohe mediale Aufmerksamkeit und sind mit einem starken Aktienkurseinbruch verbunden. Die Tatsache, dass aktivistische Shortseller mit ihren Anschuldigungen in der Vergangenheit wie bei Wirecard, Steinhoff oder der Adler Gruppe Recht behielten und früh auf Missstände hingewiesen haben, verschafft ihnen eine gewisse Kredibilität. Um den Zusammenhang der abnormalen Rendite einer Aktie und eines kritischen Berichts eines Leerverkäufers zu messen, wurde eine Variable für einen Bericht in das Modell aufgenommen. Da sich Informationen über solche Berichte und der Inhalt teils vor und nach der Veröffentlichung im Börsenkurs widerspiegeln, werden fünf Handelstage vor und nach der Veröffentlichung ebenfalls mit der kategorialen Variable 1 oder 0 versehen. Dies scheint sinnvoll, da angenommen werden darf, dass Informationen auf dem Kapitalmarkt häufig auf inoffiziellen Wegen geteilt werden. Eine von Ferri und Hsieh (2001) veröffentlichte Studie konnte beispielsweise nachweisen, dass die Leerverkaufsaktivität in den Tagen vor einer negativen Anlageempfehlung eines Analysten signifikant zunehmen. Über den gesamten Beobachtungszeitraum dieser Arbeit wurden 27 Berichte über im Sample enthaltene Unternehmen identifiziert. Diese wurden entweder von den Investoren selbst oder durch Dritte wie das Investigativ- und Investmentunternehmen Viceroy Research in Umlauf gebracht.
Kategorie der Veröffentlichung
Als weitere Abstufung wird berücksichtigt, welchen Inhalt solch ein Bericht hat. Die fünf Kategorien, denen jeder Bericht zugeordnet wurde, waren „Fraud“ (Betrug), „Accounting“ (Bilanzmanipulation), Governance (mangelhafte Unternehmensführung), im Falle von mehreren Anschuldigungen die Kategorie „General“ und im Falle, dass ein Investor die Antwort eines Managements auf die eigenen Anschuldigungen wieder kommentiert hat, die Kategorie „Response“. Auch wenn in diesen umfangreichen Berichten, welche häufig mehr als 50 Seiten umfassen, mehrere Anschuldigungen, Quellen, Belege und Kursziele genannt werden, könnte es dennoch relevant sein, zu untersuchen, ob eine Art der Vorwürfe besonderen Einfluss hat. Wie bei Variable sieben wurden auch hierbei, die 5 Handelstage vor und nach Veröffentlichung gewertet.
5.3 Modell
Um zu untersuchen, in welchem Zusammenhang Leerverkäufe und Aktienrenditen stehen, wird ein lineares Regressionsmodell genutzt. Dabei handelt es sich um ein Panel Regressionsmodell mit festen Effekten, das die Heterogenität der einzelnen Unternehmen im Sample berücksichtigen soll. Paneldaten sind Datensätze, die aus Beobachtungen mehrerer Individuen über eine Zeitspanne hinweg bestehen. In diesem Fall handelt es sich bei den Paneldaten um Leerverkaufspositionen von verschiedenen Unternehmen, die in den letzten zehn Jahren getätigt wurden. Ein ähnliches Modell haben Aitken et al. (1998) in ihrer Studie “Short sales are almost instantaneously bad news: Evidence from the Australian Stock Exchange" genutzt.
Paneldatenregressionsmodelle können Aufschluss über die Beziehungen zwischen unabhängigen und abhängigen Variablen über einen Zeitverlauf liefern und bieten sich daher als Analysemethode an. Im Allgemeinen gibt es verschiedene Paneldatenregressionsmodelle wie Modelle mit festen oder zufälligen Effekten sowie hybride Modelle, die eine Kombination beider Ansätze darstellen. Hybridmodelle integrieren sowohl feste als auch zufällige Effekte und können für die Modellierung der Daten sinnvoll sein. Feste oder zufällige Effekte beziehen sich darauf, ob eine unbeobachtete (latente) Variable αi mit der abhängigen Variablen korreliert oder nicht. Dabei repräsentiert αi die individuellen Effekte, die nicht direkt mit der abhängigen Variablen, sondern mit den unbeobachteten Einflussfaktoren verbunden sind (Wooldridge, 2013).
In diesem Fall wird angenommen, dass weitere Variablen einen Einfluss auf die abnormale Rendite einer Aktie haben, die jedoch nicht im vorliegenden Datensatz enthalten sind und daher nicht im Modell berücksichtigt werden können. Um diese Tatsache im Modell zu integrieren, wurde ein Regressionsmodell mit festen Effekten angewendet. Dadurch erhält jedes Individuum im Datensatz (jedes Unternehmen) eine „eigene“ Konstante, wodurch Heterogenität und Individualeffekte im Modell berücksichtigt werden. Der Begriff „feste Effekte“ bezieht sich darauf, dass obwohl sich die Konstante α0 bei jedem Unternehmen unterscheidet, sie über die Zeit fixiert und somit „fest“ wird. Die Anwendung von Regressionsmodellen mit festen Effekten dient dazu, Zeitinvarianzen (Zeitunabhängigkeiten) und individuelle Unterschiede zu kontrollieren (Wooldridge, 2013). Anhand der zuvor beschriebenen un- und abhängigen Variablen ergibt sich folgendes Modell:
C𝐴𝑅𝑖𝑡 = α0 + 𝛽1𝑆𝐻𝑂𝑅𝑇𝑖𝑡 + 𝛽2REPORT𝑖𝑡 + 𝛽3KATEGORIE𝑖𝑡 + 𝛽4ANZAHL𝑖𝑡 + 𝛽5𝑀𝑈𝐿𝑇𝐼𝑃𝐿𝐸𝑖𝑡 + 𝛽6VERAENDERUNG𝑖𝑡 + 𝛽7AKTIVISTISCHS𝑖𝑡 + 𝛽8AKTIVISTISCHI𝑖𝑡 + 𝜀𝑖𝑡
C𝐴𝑅𝑖𝑡 ist dabei die kumulative abnormale Rendite einer Aktie 𝑖 am Tag 𝑡 für einen bestimmten Eventintervall, welche jeden Wert in Prozent annehmen kann. 𝛽1𝑆𝐻𝑂𝑅𝑇𝑖𝑡 gibt die prozentual größte Leerverkaufsposition für eine Aktie 𝑖 am Tag 𝑡 an. 𝛽2REPORT𝑖𝑡 ist die Variable, die misst, wie viele Berichte aktivistischer Investoren für die Zeitspanne 𝑡-5 bis 𝑡+5 für eine Aktie 𝑖 veröffentlicht wurden. Die Variable 𝛽3KATEGORIE𝑖𝑡 unterscheidet, welche Art von Bericht veröffentlicht wurde. 𝛽4ANZAHL𝑖𝑡 bezieht sich darauf, wie viele Leerverkaufspositionen am Tag 𝑡 für eine Aktie 𝑖 existierten. Die Dummy Variable 𝛽5𝑀𝑈𝐿𝑇𝐼𝑃𝐿𝐸𝑖𝑡 soll den Umstand berücksichtigen, dass für die Variable 𝛽1𝑆𝐻𝑂𝑅𝑇𝑖𝑡 nur die größte Position berücksichtigt werden kann und nimmt den Wert 0 oder 1 ein (im Falle mehrerer Leerverkaufspositionen). 𝛽6VERAENDERUNG𝑖𝑡 ist die prozentuale Veränderung, wenn in 𝑡 und 𝑡1 Leerverkaufspositionen für die gleiche Aktie bestanden haben. 𝛽7AKTIVISTISCHS𝑖𝑡 und 𝛽8AKTIVISTISCHI𝑖𝑡 kennzeichnet, wenn eine Leerverkaufsposition eines aktivistischen Shortsellers 𝛽7 beziehungsweise eines aktivistischen Investors 𝛽8 bestand.
6 Daten
6.1 Datenerhebung
Die in dieser Arbeit genutzten Daten stammen aus verschiedenen Quellen, wobei der Großteil aus Sekundärdaten wie wissenschaftlichen Publikationen oder Datenbanken wie dem Bundesanzeiger, der vom Ministerium für Justiz betrieben wird, besteht. Im empirischen Teil der Arbeit wurden insbesondere die im Bundesanzeiger veröffentlichten Leerverkaufspositionen und Kursdaten des Finanzportals Yahoo Finance als Datenquellen genutzt. Diese gelten als verlässlich und allgemein jedem zugänglich.
Die Leerverkaufspositionen entstammen aus dem Bundesanzeiger, in dem täglich alle Leerverkaufspositionen hochgeladen werden, die in Deutschland getätigt werden. Unabhängig davon, auf welchem Handelsplatz (wie auf Xetra) oder welcher Wertpapierbörse (wie der Börse Frankfurt, Stuttgart oder Düsseldorf) ein Unternehmen leerverkauft wurde, werden alle Transaktionen veröffentlicht. Dies führt dazu, dass neben deutschen auch viele internationale Unternehmen im Sample enthalten sind, da diese sowohl an ihrer nationalen als auch an einer deutschen Wertpapierbörse notiert sind. Diese mehrfache Listung ist weit verbreitet und so sind ebenso viele deutsche Unternehmen im Ausland gelistet wie beispielsweise die Deutsche Telekom AG, die neben Frankfurt auch an der New York Stock Exchange gelistet ist.
Laut Bundesanzeiger werden alle Leerverkaufspositionen, die über 0,1% aber unter 0,5% des ausgegebenen Aktienkapitals ausmachen, lediglich für 48 Stunden im Bundesanzeiger veröffentlicht. Ein exemplarischer Auszug ist in Abbildung 2 zu sehen. Wie sich im Sample jedoch zeigte, waren in diesem auch Positionen enthalten, die weniger als 0,5% ausmachten und älter als 48 Stunden gewesen sind. Es ist ebenfalls zu beachten, dass das „Datum“ das Datum darstellt, an dem die Leerverkaufsposition eingegangen wurde. Da die Veröffentlichung jedoch erst am nächsten Tag geschieht, macht es Sinn, die Reaktion des Kapitalmarkts am Tag der Veröffentlichung, also einen Tag nach dem Datum des Samples, zu betrachten. Dies ergibt sich automatisch durch die kumulative abnormale Rendite (CAR), die sich immer für einen Zeitraum berechnet, in dem die Leerverkaufsposition bereits veröffentlicht war.
Insgesamt beinhaltet der Datensatz, der vom 26.03.2003 bis zum 23.01.2024 reicht, 43.128 Einträge. Da die Einträge jedoch erst im Laufe des Jahres 2012 konsistent werden (für das Jahr 2011 gibt es beispielsweise nur einen Leerverkauf, was als unrealistisch zu bewerten ist), ist festzuhalten, dass erst der Datensatz vom Zeitraum vom 02.01.2013 bis zum 29.12.2023 konsistente Daten beinhaltet. Aufgrund der gewählten Forschungsmethode der Paneldatenregression sollte es unerheblich sein, in welchem Jahr eine Beobachtung analysiert wird. Insgesamt sollte der Datensatz aussagekräftige Ergebnisse liefern und ist mit einer Zeitspanne von über zehn Jahren ein vergleichsweise langer Betrachtungszeitraum.
6.2 Datenanpassung
Wie sich herausstellte, gibt es einige Hedgefonds, die gegenüber ihren eigenen Fonds Leerverkaufspositionen aufgebaut haben. In solchen Fällen lässt sich antizipieren, dass es sich dabei weder um informiertes noch uniformiertes Leerverkaufen handelt, sondern aus individuellen Gründen geschehen ist. Es ist davon auszugehen, dass diese Einträge die Forschungsergebnisse verzerren würden, weshalb diese aus dem Sample exkludiert wurden. Außerdem haben sich über die Zeitspanne von zehn Jahren einige Unternehmen umbenannt oder ihre Rechtsform von einer Aktiengesellschaft (AG) in eine europäische Aktiengesellschaft (SE) gewandelt. Zieht man die Fonds ab, die gegen sich selbst Leerverkaufspositionen aufgebaut haben und zählt Unternehmen, die sich umbenannt haben, nur einmal mit, ergeben sich aus ursprünglich 1030 Unternehmen 570. Da einige der 570 Unternehmen, die in der Studie betrachtet wurden, amerikanische oder chinesische Unternehmen sind, die an einer deutschen Börse gelistet sind, war es nicht möglich, Kursdaten für alle zu erhalten. Trotzdem bleibt das Sample mit insgesamt 265 Unternehmen aussagekräftig, da letztere lediglich 3.417 der 43.128 Leerverkaufspositionen im Sample ausmachen. Somit besteht der Datensatz, der für die Analyse genutzt wurde, aus 265 Unternehmen, die insgesamt 39.711 Leerverkaufspositionen umfassen.
6.3 Datenbeschreibung
Insgesamt ist der Datensatz hinsichtlich der Verteilung von Leerverkaufspositionen sehr heterogen. Eine kleine Anzahl von Unternehmen macht im Verhältnis einen großen Anteil der Leerverkäufe aus. Eine Übersicht der zehn am häufigsten leerverkauften Unternehmen ist in Abbildung 3 zu finden. Diese aufgelisteten zehn Unternehmen machen mit über 10.000 Leerverkäufen bereits ein Viertel aller Leerverkäufe seit dem vierten Quartal 2012 in Deutschland aus.
6.4 Zeitliche Veränderungen
Wie bereits beschrieben, wird als eine Motivation für Leerverkäufe eine steuerliche Komponente genannt. Wie in Abbildung 4 zu sehen, ist weder am Ende noch am Anfang eines Handelsjahres ein außergewöhnlicher Anstieg zu beobachten. Insofern lässt sich schlussfolgern, dass diese Motivation für Leerverkäufe in Deutschland als vernachlässigbar angesehen werden kann. Lediglich März 2020 als die Corona Pandemie ausgebrochen war, war ein bedeutender Anstieg der Leerverkäufe zu beobachten. Über die Jahre 2013 bis 2023 ist, wie Abbildung 5 zeigt, ein konstanter Anstieg der Leerverkaufspositionen zu beobachten. Das Jahr 2021 nimmt dabei eine besondere Stellung ein, da augenscheinlich nach den eingebrochenen Börsenkursen im Jahr 2020 und den starken Kursanstiegen im Jahr 2021 die Leerverkäufe ein deutlich niedrigeres Niveau aufgewiesen haben.
7 Ergebnisse & Analyse
Die nachfolgenden Abschnitte bilden den empirischen Kern dieser Arbeit. Bevor jedoch die Ergebnisse des Regressionsmodells präsentiert und analysiert werden, erfolgt eine einführende Beschreibung der deskriptiven Statistik aller untersuchten Variablen. Ziel dieser Einleitung ist es, einen Überblick über die Daten zu geben und potenzielle Unterschiede zwischen den Perioden zu identifizieren. Dabei werden sowohl die Zeiträume berücksichtigt, die die Zeitpunkte vor der offiziellen Veröffentlichung der Leerverkaufspositionen umfassen, als auch diejenigen, die erst ab diesem Zeitpunkt die abnormale Rendite betrachten. Durch diese differenzierte Betrachtung wird eine fundierte Grundlage für die anschließende Analyse der Regressionsmodelle geschaffen, um mögliche Einflüsse der Zeitpunkte auf die Ergebnisse zu erörtern.
7.1 Deskriptive Statistik
Im Weiteren wird Abbildung 6 beschrieben, welche den Durchschnitt, die Standardabweichung, das Minimum und Maximum der un- und abhängigen Variablen zeigt. Die Auswertung erfolgt anhand der ebenfalls in der Regressionsanalyse genutzten Zeitspanne (0,1; 0,3; 0,10 und -1,1; -3,3; -10,10). Die Daten basieren auf der im vorherigen Abschnitt beschriebenen Stichprobe von 39.711 Leerverkaufspositionen und deren entsprechende kumulative abnormale Rendite. Extreme Ausreißer, die sich durch Kommaverschiebungen der Aktienkurse ergeben haben, wurden dabei nicht berücksichtigt. Das Ziel der Analyse ist es, die zentralen Tendenzen, die Streuung und Verteilung der abnormalen Renditen zu untersuchen und Einblicke in den Zusammenhang von Leerverkäufen und Aktienrenditen zu erhalten.
Die durchschnittlichen kumulativen abnormalen Renditen variieren deutlich je nach Zeitraum. Zum Beispiel beträgt der Durchschnitt für den Zeitraum (0,10) 89,138%, während er für den Zeitraum ( 3,3) bei 11,018% liegt. Gleichzeitig ergeben sich deutliche Muster für die untersuchten Zeitintervalle: Vergleicht man die Intervalle, die den Zeitpunkt vor Veröffentlichung der Leerverkaufspositionen inkludieren (-1,1; -3,3; -10,10) mit denen nach Veröffentlichung (0,1; 0,3; 0,10), zeigt sich, dass in beiden Fällen das längste Intervall (0,10; -10,10) die jeweils höchste, das kürzeste Intervall (0,1; 1,1) die jeweils die zweitgrößte und die Intervalle (0,3) und (-3,3) die jeweils die kleinsten kumulativen abnormalen Renditen aufweisen. Es ist ebenfalls zu beobachten, dass die kumulative abnormale Rendite in allen Intervallen im zweistelligen Prozentbereich positiv ist.
Die Standardabweichung der kumulativen abnormalen Renditen variieren ebenfalls je nach Zeitraum. Beispielsweise beträgt sie für den Zeitraum (0,1) 32,235%, während sie für den Zeitraum (-10,10) bei 81,431% liegt. Auch hierbei ergibt sich ein Muster, nach welchem sich die Intervalle vor und nach Veröffentlichung tendenziell ähnlich verhalten. In diesem Fall zeigt sich, je länger ein Intervall geht, desto größer ist die Standardabweichung. Beachtenswert ist, dass die Standardabweichung für die Intervalle, die die Zeitpunkte vor Veröffentlichung beinhalten, jeweils größer ist als die nach der Veröffentlichung. Möglicherweise liegt dies ebenfalls an der Beobachtung, dass längere Intervalle eine höhere Standardabweichung haben. Der Durchschnitt für die unabhängigen Variablen Leerverkaufsposition in Prozent (Short) und Anzahl der Leerverkaufspositionen liegt bei 0,972% beziehungsweise 0,030%.
Außerdem ist eine beträchtliche Differenz, zwischen der minimalen und maximalen kumulativen abnormalen Rendite eines untersuchten Zeitraums zu beobachten. Allerdings ist zu beachten, dass der Datensatz mit einer Zeitspanne von über zehn Jahren viele Sondereffekte und Ereignisse, die den Kapitalmarkt oder einzelne Aktienkurse beeinflusst haben, beinhaltet. Insofern können die präsentierten Ergebnisse als angemessen beurteilt werden. Auch scheinen die Maxima der beobachteten Leerverkaufspositionen mit 6,77% und die Anzahl der Leerverkaufspositionen desselben Unternehmens mit 11 recht hoch. Setzt man jedoch in Relation, dass es sich um einen untersuchten Datensatz mit insgesamt 39.711 Leerverkaufspositionen handelt, erscheinen die Ergebnisse als plausibel.
Die deskriptive Statistik der kumulativen abnormalen Renditen und der unabhängigen Variablen liefern Einblicke in ihre Verteilung und Schwankungen über verschiedene Analysezeiträume hinweg. Da es sich bei den meisten unabhängigen Variablen jedoch um binäre oder kategoriale Variablen handelt, erlaubt erst die im Anschluss folgende Auswertung der induktiven Statistik tiefergehende Analysen. Es zeigt sich, dass es trotz Ausschlusses extremer Ausreißer beträchtliche Variationen in den Renditen gibt. Dies unterstreicht die Heterogenität des Datensatzes und der entsprechenden Unternehmen.
7.2 Ergebnisse der Regressionsanalyse
7.2.1 Perioden (0,t)
Zur Untersuchung der Beziehung zwischen Leerverkaufspositionen und der kumulativen abnormalen Rendite wurde eine Regressionsanalyse durchgeführt. Dabei wurde dasselbe Regressionsmodell für unterschiedliche Zeiträume betrachtet, nämlich die Perioden (0,1), (0,3) und (0,10) und die Perioden (-1,1), (-3,3) und (-10,10). Im Weiteren werden zunächst die Perioden nach Veröffentlichung der Leerverkaufspositionen untersucht (0,1; 0,3; 0,10) und anschließend die Perioden, die die Zeitpunkte vor Veröffentlichung miteinschließen (-1,1; -3,3; -10,10). Abschließend werden die Ergebnisse der Regressionen miteinander jeweils verglichen und die Aussagekraft der Modelle evaluiert. Die Regressionsmodelle wurden mit verschiedenen unabhängigen Variablen spezifiziert, darunter SHORTit (Leerverkaufspositionen), ANZAHL𝑖𝑡 (Anzahl der Ereignisse), REPORT𝑖𝑡 (Ereignisbericht), KATEGORIEACCOUNTINGit, KATEGORIEFRAUDit, KATEGORIEGENERALit, KATEGORIEGOVERNANCEit, MULTIPLEit, VERAENDERUNGit, AKTIVISTISCHSit und AKTIVISTISCHIit.
Die Ergebnisse der Regressionsanalysen für die Perioden (0,1; 0,3; 0,10), die in Abbildung 7 dargestellt werden, geben ein differenziertes, aber uneindeutiges Bild über den Zusammenhang zwischen den Variablen und der kumulativen abnormalen Rendite. Es sollte erwähnt werden, dass aus Singularitätsgründen der Intercept, die Koeffizienten KATEGORIERESPONSEit und für die Periode (0,1) der Koeffizient KATEGORIEGENERALit fallen gelassen werden mussten. Der Intercept (Konstante) eines Regressionsmodells ist der Wert der abhängigen Variablen, wenn alle unabhängigen Variablen den Wert Null haben, und er markiert den Punkt, an dem die Regressionslinie die y-Achse schneidet. Der Koeffizient hingegen ist eine Zahl, die den durchschnittlichen Effekt einer Einheitserhöhung der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable in einem statistischen Modell quantifiziert, vorausgesetzt, dass alle anderen Variablen konstant gehalten werden. In diesem Fall geben die Koeffizienten also an, wie sich die kumulative abnormale Rendite verhält, wenn sich die Koeffizienten um einen Faktor erhöhen.
In der ersten Periode (0,1) ist der Koeffizient für SHORTit signifikant und weist, wie erwartet, mit einem Wert von -13,715 einen negativen Wert aus. Eine Erhöhung des Koeffizienten SHORTit um einen Faktor (also die Erhöhung einer Leerverkaufsposition), würde nach diesem Modell für eine Verringerung der kumulativen abnormalen Rendite um 13,715 Prozent führen. Ebenfalls negativ, aber nicht statistisch signifikant ist der Koeffizient SHORTit für die Perioden (0,3) und (0,10). Statistisch sehr signifikant sind die Koeffizienten ANZAHL𝑖t und MULTIPLEit. Ersterer gibt an, wie viele Leerverkaufspositionen für eine bestimmte Aktie gehalten werden, während letzterer die erwähnte binäre Dummy-Variable darstellt. Der Koeffizient ANZAHL𝑖t ist mit einem Wert von 31,696 wider Erwarten positiv, was bedeuten würde, dass eine Erhöhung dieses Koeffizienten eine erhöhte kumulative abnormale Rendite zur Folge hätte. Dahingegen ist der Koeffizient ANZAHL𝑖t mit einem Wert von -48,730 wie erwartet negativ, hätte also bei einer Erhöhung um einen Faktor eine niedrigere kumulative abnormale Rendite zur Folge. Für die Perioden (0,3) und (0,10) sind diese Koeffizienten ebenfalls sehr signifikant. Beachtlich ist die Höhe der Werte, denn während es in ähnlichen Studien zu Koeffizienten im mehrstelligen Prozent- oder niedrigen einstelligen Dezimalbereich gekommen war (Kersbergen, 2016; Kouzoubasis & Al Sakka, 2021), scheinen die vorliegenden Ergebnisse nahezu unrealistisch hoch.
Interessant ist ebenfalls, dass keine der anderen Koeffizienten für die Periode (0,1) und die anderen Perioden (0,3; 0,10) statistisch signifikant ist. Die Signifikanz in einem statistischen Modell bezieht sich darauf, ob sich eine Veränderung der unabhängigen Variable auf die abhängige auswirkt und ob die beobachteten Effekte über den Zufall hinaus statistisch bedeutsam sind. Die niedrige Signifikanz für die Koeffizienten REPORT𝑖𝑡, der Art des Reports: KATEGORIEACCOUNTINGit, KATEGORIEFRAUDit, KATEGORIEGENERALit, KATEGORIEGOVERNANCEit, VERAENDERUNGit, AKTIVISTISCHSit und AKTIVISTISCHIit deutet darauf hin, dass es keine ausreichende Evidenz dafür gibt, dass sich Veränderungen dieser Variablen auf die abhängige Variable signifikant auswirken und es sich nicht um zufällige Beziehungen handelt. Das vorliegende Regressionsmodell liefert keine Beweise dafür, dass die erwähnten Koeffizienten in Zusammenhang mit der kumulativen abnormalen Rendite stehen.
Das adjustierte R² eines Regressionsmodells gibt an, wie gut die abhängigen Variablen die Varianz der unabhängigen Variablen erklären können. Der Wert -0,000 bedeutet, dass die Varianz der kumulativen abnormalen Rendite praktisch gar nicht durch unabhängigen Variablen erklärt werden kann. Dies lässt darauf schließen, dass andere Faktoren Einfluss auf die Varianz der abhängigen Variablen haben. Dennoch zeigen die statistisch signifikanten Werte (2,874***, 2,198*, und 2,983***) der F-Statistik, welche aufzeigt, ob es einen Zusammenhang zwischen der ab- und unabhängigen Variablen gibt, dass eine Verbindung besteht.
Die Interpretation dieser Ergebnisse im Kontext der Forschungsfrage deutet darauf hin, dass Leerverkaufspositionen in der kurzfristigen Perspektive (Periode (0,1)) mit einem Rückgang der kumulativen abnormalen Rendite verbunden sind. Dies könnte darauf hindeuten, dass Leerverkaufspositionen vom Kapitalmarkt in die Bewertung von Aktien miteinbezogen werden und kurzfristig für eine negative abnormale Rendite sorgen. Allerdings zeigen die Ergebnisse für die längeren Zeiträume (Periode (0,3) und (0,10)) keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Leerverkaufspositionen und abnormalen Renditen. Dies könnte darauf hindeuten, dass der Einfluss von Leerverkaufspositionen auf die Aktienkurse im Zeitverlauf abnimmt oder von anderen Faktoren überlagert wird. Die positive und signifikante Beziehung zwischen der Anzahl der Ereignisse, der binären Dummy-Variable bei mehrfachen Leerverkäufen und der kumulativen abnormalen Rendite legt nahe, dass diese einen signifikanten Einfluss auf die Aktienkurse haben könnten.
Insgesamt konnte eine Beziehung zwischen einigen der Koeffizienten und der kumulativen abnormalen Rendite nachgewiesen werden. Dennoch legen der niedrige R²-Wert, die fehlende Signifikanz der anderen Koeffizienten und die hohen und teils positiven Werte der signifikanten Koeffizienten den Schluss nahe, dass weitere Faktoren überwiegen oder nur ein eingeschränkter Zusammenhang zwischen Leerverkaufspositionen und Aktienrenditen besteht.
Abbildung 7 Regressionsergebnisse der Perioden (0,t)
Die Ergebnisse des Regressionsmodells sind im Folgenden dargestellt. Die Zeilen repräsentieren die die Werte der einzelnen Variablen des Modells, während die Spalten die Werte einzelner Perioden zeigen. Der erste Wert stellt den Koeffizienten des Regressionsmodells dar und der Wert in Klammern das Ergebnis des t-Tests. Darunter ist das adjustierte R2, der F-Wert und der dazugehörige p-Wert zu finden. (N = 39.711)
7.2.2 Periode (-t,t)
Wie schon die Ergebnisse der Regressionsanalysen für die Perioden (0,1; 0,3; 0,10) lassen auch die Ergebnisse der Perioden (-1,1; -3,3; -10,10), die die Zeitpunkte vor Veröffentlichung der Leerverkaufspositionen inkludieren, keine eindeutigen Rückschlüsse über den Zusammenhang zwischen Leerverkaufspositionen und der kumulativen abnormalen Rendite zu. Die Ergebnisse der Regressionsanalyse für die Perioden (-t,t), die in Abbildung 8 zu sehen sind, ähneln jedoch sehr denen der Periode (0,t). Auch in diesem Modell mussten aus Singularitätsgründen der Intercept (Konstante) und die Koeffizienten KATEGORIERESPONSEit fallen gelassen werden. Periode Wie in der Periode (0,1) ist der Koeffizient für SHORTit für Periode (-1,1) signifikant und mit einem p-Wert von 0,005 und einem Koeffizienten von -27,179 sogar etwas signifikanter und stärker als in der (0,1). Möglicherweise „sickern“ Informationen über bevorstehende Leerverkaufsposition demnach tatsächlich einen Tag vor Bekanntgabe im Kapitalmarkt „durch“ und spiegeln sich in der Bewertung von Aktien wider. Da die Perioden (-3,3) und (-10,10) aber ebenso wenig signifikant sind wie in den Perioden (0,t), könnte dies auch nur eine Hypothese sein. Ebenfalls negativ aber nicht statistisch signifikant sind die Koeffizienten SHORTit für die Perioden (-3,3) und (-10,10).
Wie auch schon für die zuvor untersuchten Zeiträume (0,t) sind die Koeffizienten ANZAHL𝑖t und MULTIPLEit für die Periode (-3,3) signifikant und für die Perioden (-1,1) und (-10,10) sogar sehr signifikant. Wider Erwarten ist der Koeffizient ANZAHL𝑖t (59,477, 23,347 und 88,328) in allen Perioden positiv. Demgegenüber sind die Werte der binären Dummy Variable MULTIPLEit wie erwartet negativ. Dies deutet darauf hin, dass es einen Effekt auf die kumulative abnormale Rendite hat, ob eine Aktie einmal oder mehrfach für denselben Zeitraum leerverkauft wird. Dennoch sind die Ergebnisse der Regressionsanalyse (-t,t) im Vergleich zu ähnlichen Studien (Kersbergen, 2016; Kouzoubasis & Al Sakka, 2021) sehr hoch und sollten kritisch interpretiert werden. Womöglich hängen die höheren Werte aber auch mit dem deutlich größeren Sample und der größeren Divergenz der Daten zusammen.
Die Werte der anderen Koeffizienten für die Perioden (-t,t) ähneln sich hinsichtlich ihrer fehlenden statistischen Signifikanz, ihres Vorzeichens aber auch ihrer Höhe sehr denen der Periode (0,t). Wieder stellt die Frage, wieso die Koeffizienten KATEGORIEACCOUNTINGit, KATEGORIEGOVERNANCEit und VERAENDERUNGit positive Werte annehmen, obwohl man davon ausgehen sollte, dass diese einen negativen Effekt auf die kumulative abnormale Rendite haben müssten. Da diese allerdings allesamt einen sehr hohen p-Wert aufweisen, muss angenommen werden, dass sie (zumindest in diesem Modell) in keiner Verbindung zur kumulativen abnormalen Rendite stehen.
Dass die Regressionsergebnisse und das Modell zumindest in Teilen einen Zusammenhang zwischen den unabhängigen und der abhängigen Variablen beweisen können, zeigen die signifikanten Werte der F-Statistik für die Perioden (-1,1) und (-10,10). Für die Periode (-3,3) ließ sich kein signifikanter Wert der F-Statistik feststellen. Ebenso lag das adjustierte R2 für alle Perioden bei einem Wert von 0,000, weshalb wie bei den Perioden (0,t) darauf schließen lässt, dass die Varianz der untersuchten unabhängigen Variablen kaum Rückschlüsse auf die Varianz der abhängigen Variablen zulassen.
Wie schon für die Periode (0,1), deutet insbesondere die Periode (-1,1) darauf hin, dass Leerverkaufspositionen kurzfristig mit einem Rückgang der kumulativen abnormalen Rendite verbunden sein könnten. Da sich für die längeren Zeiträume (Periode (-3,3) und (-10,10)) jeweils keine signifikanten Werte ergeben haben, ist davon auszugehen, dass keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Leerverkaufspositionen und Aktienrenditen für diesen Zeitraum bestehen. Sollte es eine Beziehung geben, ist diese möglicherweise erst im Zeitraum nach der Veröffentlichung der Leerverkaufspositionen zu messen. Denn genauso wie die signifikanten Werte des Koeffizienten ANZAHL𝑖t und MULTIPLEit, zeigten sich nicht signifikante Werte für alle anderen Koeffizienten. Die Werte der Perioden (0,t) und (-t,t) waren insgesamt so ähnlich, dass davon auszugehen ist, dass lediglich ein marginaler Unterschied besteht, ob Informationen über Leerverkaufspositionen „durchsickern“ oder erst durch den Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Obwohl die Regressionsergebnisse der Perioden (-1,1) und (-10,10) in ihren F-Werten signifikant waren, muss angenommen werden, dass andere Faktoren als die Leerverkaufspositionen die kumulative abnormale Rendite beeinflussen.
Abbildung 8 Regressionsergebnisse der Perioden (-t,t)
Die Ergebnisse des Regressionsmodells sind im Folgenden dargestellt. Die Zeilen repräsentieren die Werte der einzelnen Variablen des Modells, während die Spalten die Werte einzelner Perioden zeigen. Der erste Wert stellt den Koeffizienten des Regressionsmodells dar und der Wert in Klammern das Ergebnis des t-Tests. Darunter ist das adjustierte R2, der F-Wert und der dazugehörige p-Wert zu finden. (N = 39.711)
8 Diskussion & Limitationen
Die Ergebnisse dieser Studie reihen sich sinnbildlich in die Diskussion darüber ein, ob Leerverkäufe in Zusammenhang mit negativen Aktienrenditen stehen, einen Informationscharakter für den Kapitalmarkt haben und verboten, reguliert oder erlaubt sein sollten. Denn wie auch die wissenschaftliche Diskussion über Leerverkäufe, die durch unterschiedliche Meinungen, Forschungsergebnisse und Limitationen charakterisiert ist, lassen die vorliegenden Forschungsergebnissee kein eindeutiges Fazit zu.
Studien wie die von Diamond und Verrecchia (1987) oder Figlewski et al. (1993) konnten Evidenz dafür finden, dass eine Steigerung von Leerverkäufen zu negativen Aktienrenditen führen. Andere Studien wie die von Woolridge (1994) konnten hingegen keine signifikanten Beweise feststellen. Und ähnlich verhält es sich auch mit dem empirischen Teil dieser Arbeit.
Einerseits war die unabhängige Variable, die die Leerverkaufsposition einer Aktie repräsentiert, sowohl für das Intervall (0,1) als auch für das Intervall (-1,1) statistisch signifikant und negativ. Zusätzlich konnte für alle untersuchten Zeiträume festgestellt werden, dass die Variable, die als Dummy-Variable darstellt, ob mehrere Leerverkäufe derselben Aktie durchgeführt wurden, ebenfalls signifikant gewesen ist. Und genauso hat es sich mit der Variable verhalten, die die Anzahl der Leerverkäufe für dieselbe Aktie misst. Auch diese war für jede untersuchte Periode statistisch signifikant und negativ, was die These unterstützt, dass Leerverkäufe einen negativen Einfluss auf Aktienrenditen haben.
Andererseits konnte weder nachgewiesen werden, dass aktivistische Investoren und Shortseller einen Einfluss hätten, noch die Veröffentlichung eines investigativen Berichts oder deren Inhalt. Auch wiesen die sehr niedrigen R2 Werte auf einen beschränkten Erklärungsgehalt des Modells und damit der Leerverkaufspositionen hin. Diese Ergebnisse sprechen gegen die These der „Marktbereinigung“ durch Leerverkäufer und deren Signalwirkung.
Betrachtet man nur die Variablen, die sich auf die prozentualen Leerverkaufspositionen beziehen (SHORTit, ANZAHL𝑖t und MULTIPLEit) und die Regressionsergebnisse einen Tag vor beziehungsweise nach Bekanntgabe der Leerverkäufe (Perioden (0,1;-1,1)), kann der These, dass Leerverkaufspositionen einen negativen Einfluss auf Aktienrenditen in Deutschland haben, zugestimmt werden. Eine allgemeingültige Aussage auf Basis dieser Arbeit zu treffen, ist allerdings nicht möglich. Dafür erscheinen die Ergebnisse zu limitiert und spezifiziert. Anknüpfungspunkte weiterer Studien könnten die Folgenden sein:
Erstens erscheint es sinnvoll, auf Basis einzelner Leerverkäufe eine gesonderte Eventstudie durchzuführen. Die Forschungsmethode der Paneldatenregressionsanalyse auf Grundlage der vorliegenden Daten ist bis dato die erste mit Daten aus Deutschland und stellt einen Anfang dar.Dennoch könnte diese Methode zu grob gefasst sein und in mancher Hinsicht unangemessen. Gegenstand weiterer Untersuchungen könnten beispielsweise einzelne Case Studies über das Verhalten, Handeln und Arbeiten einzelner aktivistischer Investoren sein und die Aktienrendite der Unternehmen, die von Hedgefonds „ins Visier“ genommen werden.
Zweitens erscheint es sinnvoll, in einem größeren Rahmen (möglicherweise in Form einer Masterarbeit) das gewählte Forschungsdesign auszuweiten und einige Limitationen zu umgehen. So könnten sich beispielsweise weitere Ergebnisse feststellen lassen, wenn eine andere Form zur Berechnung der abnormalen Rendite verwendet würde (zum Beispiel in Form eines Marktmodells). Ebenso würden sich möglicherweise andere Ergebnisse finden lassen, wenn die Eventintervalle anders und weniger symmetrisch gewählt worden wären. Außerdem wäre es in einer Ausweitung des Forschungsdesigns interessant zu beobachten, ob und welche Auswirkungen Leerverkäufe neben der Aktienrendite auf das Risiko einer Aktie, also deren Varianz haben. Es ist davon auszugehen, dass Forschungsarbeiten, die die genannten Aspekte und Limitationen einbinden, zu einem anderen oder generalisierenden Forschungsergebnis kommen könnten.
9 Fazit
Ausgehend von der Hypothese, dass Leerverkäufer informiert seien und Aktien leerverkaufen, von denen sie annehmen, diese seien überbewertet, wurde die Hauptthese dieser Arbeit abgeleitet: Leerverkäufe haben einen negativen Einfluss auf Aktienrenditen in Deutschland. Um diese These zu überprüfen, wurden Leerverkaufspositionen über einen Zeitraum von zehn Jahren ausgewertet. Mithilfe einer Paneldatenregression konnten folgende Rückschlüsse gezogen werden:
Es konnte festgestellt werden, dass Leerverkäufe kurzfristig einen negativen Einfluss auf die Aktienrendite von Unternehmen haben, die an einer deutschen Börse gelistet sind. Der Forschungsfrage, ob Leerverkäufe einen negativen Einfluss auf Aktienrenditen in Deutschland haben, ist für die kurzfristige Betrachtung mit „Ja“ zuzustimmen. Allerdings ist die Zustimmung unter Vorbehalt und mit Einschränkungen zu sehen. Für keinen der anderen untersuchten Zeiträume, die eine längere Zeitspanne als nur einen Tag umfassten, konnte ein signifikanter Zusammenhang beobachtet werden. Ebenso war der Erklärungsgehalt des Modells derart gering, dass Aussagen über einen linearen Zusammenhang zwischen Leerverkäufen und Aktienrenditen unzureichend belegt wären.
Entgegen der Erwartung, dass aktivistische Investoren und Leerverkäufer Aktienkurse durch ihre Handlungen und Aussagen massiv beeinflussen könnten, konnte für diese These im Rahmen dieser Studie keine empirische Evidenz gefunden werden. Dafür bedarf es weiterer Untersuchungen, die diese Arbeit als Anknüpfungspunkt nutzen könnten. Auch wenn die vorliegenden Forschungsergebnisse nicht eindeutig genug sind, um in regulatorischen Fragestellungen rund um Aktienleerverkäufe als Evidenz für eine der beiden Positionen genutzt zu werden, konnten dennoch Beweise gefunden werden, dass es einen Zusammenhang zwischen Leerverkäufen und Aktienrenditen gibt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Forschung über Ursache- und Wirkungsbeziehungen sowie die Relevanz von Leerverkäufen als Instrument im Kapitalmarkt.
Johannes Köhler
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